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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Sache, sondern geschieht in unserer
Nähe. Wir begegnen ihr, wenn wir nur bereit sind, die Augen zu öffnen. Da
leben, sagen wir, Mann und Weib, leben in Liebe, wie es scheint. Oder wart,
sprechen wir lieber von Menschen, die wir kennen, da ist es leichter. Nehmen
wir an, es handelt sich um die beiden, die du gesehen hast, die Frau, die dir
die Tür öffnete, und den älteren Knecht, Fazlija, ihren Mann. Sie wohnen bei
mir im Gartenhaus, es geht ihnen nicht schlecht, er ist mit mir unterwegs,
verdient mehr, als sie brauchen, bringt ihr Geschenke von der Reise mit und
freut sich über ihre Freude, und sie versteht sich zu freuen wie ein Kind. Er
ist linkisch, daß man lachen könnte, stark wie ein Stier, ein bißchen kindlich,
umgibt sie aber mit größter Aufmerksamkeit. Er liebt sie, ohne sie wäre er
verloren. Mich bestiehlt er ein bißchen, der Frau wegen, aber er liebt auch
mich, er würde sein Leben für mich in die Schanze schlagen. Lieb war mir's, daß
sie sich vertragen, ich hätte nichts wissen mögen von Mann und Weib, die sich
angeifern. Sie interessierten mich, denn auch ich hatte dazu beigetragen, daß
sie sich fanden, und ein wenig gewann ich sie lieb. Jetzt aber frage ich mich:
Was würde geschehen, wenn die Frau einen anderen Mann fände und dem heimlich
das schenkte, was nach göttlichen und menschlichen Geboten dem Ehemann gehört?
Was mühte man tun, wenn das geschähe?"
    „Ist es geschehen?"
    „Ja. Du hast auch den anderen
gesehen, der Jüngere ist es. Der Ehemann weiß nichts. Der Koran sagt: Steinigt
die Ehebrecherin. Aber du wirst zugeben, das ist veraltet. Was soll ich nun
tun? Es dem Ehemann sagen? Der Frau drohen? Den Jüngeren wegjagen? Alles würde
nichts helfen."
    „Du kannst auch die Sünde nicht ruhig
gewähren lassen."
    „Schwerer ist es, sie zu verhindern.
Die Frau wird von beiden geliebt, sie hat Angst vor dem Ehemann und liebt den
Jüngeren. Auch er steht in meinem Dienst, er ist ein bißchen verschlagen, aber
klug, so geschickt in Geschäften, daß ich für seine Ehrlichkeit fürchte, aber
ich brauche ihn. Er wohnt hier, bei ihnen, der Ehemann hat ihn selber
hergebracht, er ist ein ferner Verwandter von ihm. Der Ehemann ist ein guter
Kerl, er ahnt nichts, er vertraut den Menschen und genießt sein Glück; die Frau
möchte nichts ändern, sie fürchtet, sie würde sonst alles verderben; der junge
Bursche schweigt, will aber nicht fort. Ich könnte ihn in einem andern Haus unterbringen, aber sie würde auch dorthin gehen,
sie hat es mir selbst gesagt, und alles wäre noch schlimmer. Ich könnte ihn
woandershin schicken, weiter fort, sie würde ihm nachlaufen. Was immer sich am
gegenwärtigen Zustand ändern könnte, es käme nichts Gutes heraus. Der Ehemann
würde die Frau und den andern umbringen, wenn er es erführe, denn der dumme
Kerl hat sein ganzes Leben von ihr abhängig gemacht. Die Frau und der Jüngere
aber stehlen sich ein bißchen Glück und meinen, sie hätten ein Recht darauf,
wagen aber nicht, es schöner zu machen. Und nicht leicht haben sie's, sie
nicht, weil sie das Weib eines ungeliebten Mannes sein muß, der Jüngere nicht,
weil er sie jeden Abend einem anderen überläßt. Der Ehemann hat es am
leichtesten, weil er nichts weiß, für ihn gibt es nichts, wir aber meinen, er
trage den meisten Schaden. Auf sie hat er im Grunde das Recht verloren, nur
ihre Furcht bewahrt es ihm noch. Ich aber warte, lasse alles weitergehen, wage
nicht, etwas zu unternehmen, so verfahren ist alles, ihre Schicksale sind mit
dünnen Fäden verwoben, risse ich die einfach ab, so würde ich das Unglück
beschleunigen, das über ihnen hängt. So steht es, und nun soll einer das
passende Gebot finden, nun löse mir einer die Frage, stelle Ordnung her! Aber
ohne daß er sie zugrunde richtet. Denn dann hätte er nichts getan."
    „Das kann nur mit einem Unglück
enden, du sagst es selbst."
    „Ich fürchte es. Aber ich will es
nicht beschleunigen."
    „Du sprichst von den Folgen, doch
nicht von den Ursachen, du sprichst von der Ohnmacht der Gebote, wenn etwas
geschehen ist, doch nicht von der Sünde der Menschen, die sich nicht an die
Gebote halten."
    „Das Leben ist weiter als alle
Gebote. Die Moral ist eine Idee, das Leben aber ist das Wirkliche. Wie sollen
wir das in die Idee einpassen, ohne daß es Schaden nimmt? Das Leben hat mehr
Schaden dadurch erlitten, daß man die Sünde zu verhindern versucht hat, als
durch die Sünde."
    „Sollen wir also in Sünde
leben?"
    „Nein. Aber auch

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