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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Scheich einer Tekieh,
überzeugter Verteidiger des Glaubens. Wie hätte ich ausgestoßen sein sollen und
warum? Ich wollte nicht, ich konnte nicht etwas anderes werden, und alle
wußten das – warum hätten sie mich zum Scheitern bringen sollen? Alles hatte
ich mir nur eingebildet, ohne Not in Gedanken ausgesponnen, ich wußte nur
nicht, woher mir auf einmal diese Feigheit gekommen war, hundertmal hatte ich
an der Grenze, am Markstein des Todes gestanden und keine Angst gespürt, jetzt
aber waren unsere Herzen wie willenlose Steinchen, tot und kalt. Was war nun
geschehen? Was war aus unserem Heldentum geworden? Ein schändliches Erschrecken
vor einem Eulenruf, vor einer lauteren Stimme, vor einer nicht bestehenden
Schuld. So lohnt es sich nicht, zu leben. Einst hatte ich, den Säbel zwischen
den Zähnen, Flüsse durchschwommen, war auf dem Bauche durchs Röhricht
gekrochen, hatte gierig das Atmen des Feindes belauscht, war furchtlos gegen
starrende Gewehre gestürmt, und jetzt hatte ich Angst vor einem schäbigen Sejmen. O Jammer
über Jammer, etwas ist mit uns geschehen, etwas Schlimmes ist mit uns
geschehen, wir sind geschrumpft, ohne es auch nur zu bemerken. Wann haben wir
uns so verloren, wann haben wir das über uns ergehen lassen?
    Noch war es hell, der Tag war freilich schwach,
müde, die Schatten faßten schon an ihm, aber er mußte noch dauern, so lange
wenigstens, daß ich nicht mit Qual und Scham in die Nacht zu gehen brauchte.
Ich wußte, wohin ich ging, meine Füße trugen mich dorthin, noch ehe ich beschlossen
hatte, ihn aufzusuchen. Unbewußt kreisten meine Gedanken um ihn, in der
Hoffnung, seine Frau habe ihm von unserem Gespräch berichtet, wir würden beide
so tun, als wären wir in nichts verwickelt, würden ein Geheimnis hüten, das
keines war, würden nicht von Hasan sprechen, aber meine heitere Miene würde
alles verraten. Auch wenn sie ihm nichts gesagt hatte, brauchte ich nichts zu
fürchten. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre erst zu ihr gegangen,
hätte ihr die Nachricht von Hasans Einverständnis gebracht – als Geschenk.
Leichter wäre es mir dann gefallen, mit ihrem Mann zu sprechen.
    Umsonst, die Feigheit umlauert uns,
unsere Gedanken gehen die Wege der Feigheit. Sie spricht aus uns, verflucht
soll sie sein, auch wenn wir uns ihrer schämen.
    Ich nutzte diesen Augenblick der
Verbitterung und handelte sogleich, um es nicht auf niemals zu verschieben.
    Überraschenderweise empfing mich
Ajni Effendi sofort, als hätte er mich erwartet, es liefen nicht erst Meldungen
und Boten vor mir her, obgleich man auf den Korridoren die versteckte
Gegenwart von Menschen und Augen fühlte.
    Er begrüßte mich freundlich, weder
laut noch gleichgültig, heuchelte weder Freude noch Verwunderung, blieb in
allem gemessen, behielt ein zurückhaltendes Lächeln, versuchte weder mich
einzuschüchtern noch mich zu ermutigen. Das ist anständig, dachte ich, dennoch
fühlte ich mich unbehaglich.
    Eine Katze kam irgendwo
hervorgekrochen, sah mich mit bösen gelblichen Augen an, schob sich näher zu
ihm und beschnupperte ihn. Ohne den Blick von mir abzuwenden – einen freundlich
zerstreuten Blick –, streichelte er das verwöhnte Tierchen, das sich unter
seiner Hand wollüstig reckte und wendete, sich mit dem Hals und dem Rücken an
seinem Knie rieb, ihm dann in den Schoß sprang, sich zusammenringelte und zu
schnurren begann, dabei aber unheildrohend zu mir herblinzelte. Jetzt sahen
mich zwei Augenpaare an, beide gelblich und abschätzend kalt.
    Ich wollte nicht an seine Frau
denken, aber sie tauchte von selbst aus dem Dunkel, aus der Ferne auf, sein
Anblick rief sie hervor, der Anblick dieses steifen, lauernden Menschen mit den
versteckten Händen, die einander sicherlich in den langen Ärmeln fest
umklammerten, mit dem durch scheinend blassen Gesicht, den dünnen Lippen, den
schmalen Schultern dieses gleichsam ausgelaugten, spröden Körpers, in dessen
Adern wohl Wasser floß – wie mochten die Nächte zwischen ihnen sein in diesem
großen, öden Haus?
    Er saß unbegreiflich ruhig, zeigte
nicht das geringste Bedürfnis, auch nur ein Glied zu rühren (es sah nach
Totenstarre aus oder nach der Selbstbeherrschungskraft eines Fakirs), und er
behielt den Gesichtsausdruck bei, den er bei meinem Eintreten gezeigt hatte,
das war ein Lächeln, das nichts ausdrückte, trügerisch ausgebreitet über einen
lippenlosen Mund. Dieses bleibende Lächeln, es erschöpfte mich mehr als ihn.
    Nur von Zeit zu Zeit –

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