Der Derwisch und der Tod
ein gutmütiger Lateiner, der sich vor mir tief verbeugt
hatte, mit dem gewinnenden Lächeln eines Menschen, der in allem gelassen und in
nichts boshaft ist? Sicher wußte er es nicht, an ihm zehrte keine Leidenschaft.
Er würde niemanden töten, auch wenn er es wüßte. Die Frau wußte es, Frauen
wissen es immer, auch wenn nichts ausgesprochen ist, sie nehmen eher an, daß es
sei, als daß es nicht sei.
Was begab sich zwischen ihnen,
ungesagt, vielleicht gestammelt, zwischen den beiden Jüngeren und dem Ehemann,
der sie durch seine Gegenwart trennte und durch seine Ahnungslosigkeit
aufstachelte, immer bereit, die Minuten ihres gefährlichen
Schweigens mit unbefangenem Geplauder über dies und das zu überbrücken? Welch
wütender Geist des gekosteten oder ungestillten Verlangens mochte zwischen den
beiden jungen Menschen stehen, welche Behexung, die, nur
von Vorstellungen genährt, zu gefährlicher Entrücktheit Weiterwachsen konnte?
Oder war nur Hasan gepackt – von ihrem Körper, der wie schlankes, schwankendes
Schilfrohr war, von der stillen Heiterkeit ihrer leuchtenden, von Krankheit
gezeichneten Augen? Hatte er sich von allem anderen nur darum
befreit, daß er sich nun unausweichlich in eine Leidenschaft verstricke, die
sich nicht aufzehrt und nicht untergehen kann? An sie dachte er, wenn sie
monatelang getrennt waren, er würde sie nach seiner Rückkehr sehen,
verschönt noch, im Glanz der Wünsche, die er von weiten Reisen mitbrächte, mit
dürstenden Augen würde er ihr Bild aufnehmen, damit er es auf neue Reisen
mitnehme. Wo aber würde sich der Kreis schließen, in dem die Leidenschaft sich
nährt, nicht verzehrt?
Mich hatte er jetzt vergessen, wenn
er überhaupt jetzt noch denken konnte, sie hatte mich längst verdrängt, mich
und alles andere, Was nicht sie war; und wenn ich sie in diesem Augenblick
haßte, geschah das deswegen, weil ihr Samtkleid bis zu den Füßen reichte, weil
ihr mädchenhaft voller Mund und ihre reife, schmeichelnde
Stimme wichtiger waren als ich und meine Qual. Sie hatte mich verdrängt bis zum
Nichtbestehen, hatte mir eine Stütze geraubt, die es überhaupt nicht
gegeben hatte – doch ich hätte mir gewünscht, die Täuschung wäre
unentdeckt geblieben.
Wieder stand ich allein.
Vielleicht war es so auch das beste:
keine Hilfe erwarten und keinen Verrat fürchten. Allein. Alles würde ich tun,
was ich konnte, mich auf keine Unterstützung – die es doch nicht gab –
verlassen, und dann wäre alles, was ich erreichte, mein – das Böse
wie das Gute.
An der Moschee ging ich vorbei, die an der Ecke von
Hasans Gasse steht, an der Medrese ging ich vorbei, die hinter der
Mauer nicht zu sehen war, an der Sandalenmachergasse ging ich vorbei, kam zu
den Gerbern, der Duft der Lateinerin verflüchtigte sich, der Gedanke an Hasan
verblaßte, ich wanderte an den Werkstätten und an den Handwerkern
vorüber, die friedlich ihrer Arbeit nachgingen, hier begann die Grenze, jenseits
derer ich selbst und allein sorgen mußte, hier begann mein Weg ins Unbekannte.
Aber warum ins Unbekannte? Ich zweifelte nicht, daß ich Erfolg haben würde, ich
durfte nicht zweifeln, sonst hätte ich nicht die Kraft, auch nur einen Schritt
weiterzugehen. Und doch mußte ich, es war die Frage meines Lebens, ja
vielleicht ging es um noch Wichtigeres. Ich sehnte mich nach Ruhe
und Frieden in diesem Augenblick, ging gesenkten Kopfes an den Auslagen vorbei,
müde, erschöpft, nahm den Geruch von Leder und Erlenrinde wahr, müde, blickte
auf die gerundeten Pflastersteine vor mir und auf die Beine der
Vorübergehenden, müde, ohne einen Funken Kraft, verlangend nach einem
verriegelten Zimmer und langem, todesgleichem Schlaf, wie einer, der sein Leben
aushaucht, hinter verschlossenen Türen, verschlossenen Fenstern, wie ein Kranker.
Diese Schwäche aber und diese Furcht vor
den ungeahnten Schwierigkeiten, dieses Verlangen, sich niederzulegen und zu
sterben, aufzugeben und das Schicksal hinzunehmen, durften mich
jetzt nicht aufhalten. Keine Erschöpfung, keine Ermattung konnten mich daran
hindern, meine Pflicht zu erfüllen. Mich trieb meine ererbte bäuerliche
Beharrlichkeit und der mitleidlose klare Gedanke an die Notwendigkeit, mich zu
wehren. Ich mußte. Geh vorwärts, später stirb.
Woher nur die Furcht und das
Vorgefühl drohenden Unglücks, da doch meine Erfahrung mich nicht warnen konnte?
Als ich Pferdehufe auf das Pflaster
schlagen hörte, hob ich die Augen und erblickte zwei bewaffnete Sejmenen zu
Pferde,
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