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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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sie ritten nebeneinander,
keinem ausweichend. In der engen Gasse drückten sich die Menschen gegen die ausgelegten Waren
und gegen die Wände, damit sie von den Pferdekruppen nicht zur Seite geworfen
und von den scharfkantigen Steigbügeln nicht verletzt würden.
Die Männer ritten langsam, die Leute hatten Zeit, aus dem Wege zu gehen,
wortlos, zu warten, bis die Pferde vorüber waren. Die Reiter wollten wohl
keinen absichtlich streifen, aber sie wichen auch nicht aus. Es war beinahe,
als sähen sie keinen.
    Ich überlegte mir, ob ich in einen
Laden treten und so die Reiter vorbeilassen solle oder ob ich mich besser an
die Wand stellte, wie alle andern.
    Ich würde
es halten wie alle. Mochten sie mich erniedrigen, der Durchlaß war schmal, sie füllten ihn ganz
aus, sie würden mich mit den Steigbügeln berühren, würden mir den
Derwisch-Mantel zerreißen, würden sich nicht einmal umdrehen, mochten sie tun, was
sie wollten, ich würde dasselbe tun wie diese Menschen, die
schwiegen und blickten und warteten – worauf warteten sie, worauf warteten
diese Menschen an den Auslagebrettern, während die Sejmenen auf mich
zuritten? Wollten sie sehen, wie man mich kränken würde, oder wollten sie
hören, wie ich sie anschreien würde – mein Rang und meine Kleidung gaben mir
dazu das Recht. Das eine wie das andere wünschte ich mir nun, mir
schien es auf einmal, es sei wichtig, es sei entscheidend, was ich
unternähme, es verwirrte mich, daß sie warteten und auf mich blickten; standen
sie auf meiner Seite, waren sie gegen mich, blieben sie gleichgültig?
Nicht einmal das wußte ich. Zu schreien wagte ich nicht, die Sejmenen würden
mich verspotten, und ich stünde lächerlich da, die Menschen würden mich wegen
dieser Niederlage nicht bedauern. Nein, mochten mich die Reiter kränken, alle
würden sehen, wie ich aus dem Weg gegangen sei, daß ich nichts anderes sei als
sie, machtlos, ja ich wünschte sogar, daß die Erniedrigung recht schlimm werde,
schwerer für mich als für die andern. Ich stellte mich an eine Wand, spürte mit
dem Rücken schwach die Unebenheiten des Mauerwerkes und wählte, gesenkten
Blickes, gelassen der Erniedrigung entgegensehend, absichtlich die schmalste
Stelle, geradezu mit einer gewissen schmerzlichen Wonne wartete ich darauf, daß
sie kämen, ich würde von mir reden machen, man würde mich bedauern, ich würde
auf einmal als Opfer gelten.
    Es geschah aber das, was ich nicht
vorhergesehen hatte: Ein Sejmen ritt etwas schneller, dem andern voran, und
hintereinander kamen sie an mir vorbei. Sie grüßten mich sogar. Anfangs war ich
überrascht, dieses Verhalten traf mich unvorbereitet, meine ganze Anspannung
erwies sich als nutzlos, und alles kam irgendwie lächerlich heraus: mein
machtloses Heldentum ebenso wie mein überflüssiges Beiseitetreten und die
Bereitschaft, die Kränkung auf mich zu nehmen. Ich ging weiter, ohne die Augen
zu heben, zwischen den Menschen hindurch, die auf der Gasse standen und mich
schweigend musterten, mich, den Getäuschten und Beschämten. Ich war ganz nahe
daran gewesen, dasselbe zu sein wie sie, die Sejmenen aber hatten mich von
ihnen getrennt.
    Als ich die Spießruten ihrer Blicke
durchlaufen hatte, nicht wagend, ihnen in die Augen zu sehen, als ich eine
andere Gasse erreicht hatte, wo es keine Zeugen meines verfehlten Opfers mehr
gab, ließ die Gespanntheit allmählich nach, ich fühlte mich wie von einer Last
befreit, hob den Blick zu dem Menschen, ich war wieder für sie da, grüßte,
beruhigt und still, und immer deutlicher erkannte ich: Es war gut, daß die
Sache so geendet hatte. Sie hatten mich anerkannt, mir Achtung erwiesen, hatten
darauf verzichtet, Gewalt gegen mich zu üben, und gerade das hatte ich gewollt,
ich hatte sogar während ich an der Wand stand, im stillen orakelt: Reiten sie
hintereinander vorbei, so wird alles gut ausgehen, alles, was ich zu
unternehmen gedenke. Vielleicht hatte ich auch nicht orakelt, mag sein, daß ich
das erst später dachte, als es schort geschehen war, denn vorher hatte ich mich
abergläubisch davor gehütet, den erwünschten Erfolg von einer unmöglichen
Bedingung, einem Wunder abhängig zu machen. Doch ganz gleich, das Wunder war
geschehen, oder es war kein Wunder, sondern Zeichen und Beweis. Wie hatte ich
Kleingläubiger auch meinen können, ich sei ausgestoßen und entrechtet? Warum
hätte es so sein sollen? Wem hätte das genützt? Ich war das geblieben, was ich
war und bin: Derwisch eines angesehenen Ordens,

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