Der Derwisch und der Tod
zu
beschmutzen.
Ich irrte mich, abermals. Mit nichts
verriet er, daß er mich begriffen habe, zeigte sich nicht überrascht, weder
Zorn noch Freude entdeckte ich an ihm, in dem heiligen Buch aber fand er auch
für diese Gelegenheit eine Antwort: „Schwach ist, wer verlangt, doch schwach
ist auch, was man von ihm verlangt."
Was er gesagt hatte, konnte alles
bedeuten oder nichts. Abbruch des Gesprächs, versteckten Zorn, Spott.
Umsonst, er war stärker als ich. Er
sah aus wie ein Toter, war aber kein Toter – in ihm herrschte und wütete das
Prinzip.
Augen funkelten in seinem Schoß,
unter seiner Hand, Katzenaugen, ich wagte nicht, in die seinen zu blicken, sie
würden mich mit ihrem eisigen Phosphoreszieren verbrennen.
Ich senkte den Blick und schwieg,
erschrocken über meine nutzlose Kühnheit und sein übermächtiges Abweisen.
„Besuche mich wieder einmal",
sagte er freundlich. „Wir sehen uns nicht oft."
7
Trauert nicht, freut euch auf das Paradies, das euch verheißen ist.
Ich trat in die Nacht hinaus, hölzerne Beine fühlte ich
unter mir, eisiger Schauder kreiste in meinen Adern, dazu Erschöpfung, Reue,
Zorn, Furcht, alles Irre und Machtlose sammelte sich in mir, wandelte sich in
eine Düsternis, in der das Bewußtsein erstickte. Er begleitete mich höflich
auf den Korridor, die Kerzen schwankten in den Händen zweier Diener (woher
wußten sie, daß ich jetzt gehen würde, sie würden mich mit dem Flackern im
langen Dunkel blenden), er lud mich ein, wiederzukommen, wann immer ich es
wünschte. Vielleicht wartete er noch darauf, daß ich umkehrte, vielleicht hätte
ich umkehren sollen, damit ich ihm sagte, ich hätte es nicht böse gemeint, ich
hätte Kummer, sei unruhig und verwirrt, darum möge er alles vergessen, was ich
gesagt hatte. Vielleicht hätte ich umkehren sollen, um ihn zu töten, ihm die
Gurgel zu umklammern, ihn zu erdrosseln. Selbst dann würde das Lächeln nicht
von seinen blassen Lippen weichen, und die gelben Phosphoraugen würden nicht
erlöschen.
Ich rieb meine verschwitzten Hände
aneinander, als trüge ich die Feuchte seiner Haut in meinen Handflächen, dann
hielt ich sie mit gespreizten Fingern etwas nach vorn, trug sie gleichsam vor
mir her, damit die eingebildete Berührung ausgelüftet, damit ich von ihr
befreit würde.
Lange wanderte ich am Flußufer
entlang, nur wenige Menschen kamen vorüber, die Leute schlossen sich frühzeitig
in ihre Häuser ein, draußen in der Nacht blieben nur Nachtwächter, Säufer und
Unglückliche.
Alles zog mich in die Tekieh,
drängte mich, die schwere Tür zu verschließen und allein zu bleiben. Der
Wunsch war stark, wie der Trieb zu fliehen. Aber ich erlaubte mir nicht diese
Schwäche, ich verwarf sie, tat mir selbst Gewalt an, denn ich wußte, daß der
ersehnte Rückzug niemals gefährlicher wäre als jetzt, er würde mich ärmer
machen, mich entwerten, ich hätte dann kein Recht mehr auf Selbstachtung, fände
keine Kraft mehr, irgend etwas zu unternehmen, würde gesenkten Hauptes auf alle
Schläge warten, wäre ein Stück Jammer, würde zu nichts. Ich durfte nicht aufgeben.
Ich hatte sie herausgefordert und mußte aufrecht bleiben. Ich würde mich selbst
zugrunderichten, wenn ich jetzt zurückwiche.
Ich schritt an dem stillen Ufer
entlang, dem Murmeln des Flusses lauschend, und hoffte darauf, die
Fassung wiederzufinden, denn die Natur und ihr kraftvolles Leben vermögen den
Menschen vielleicht gerade deshalb zu beruhigen, weil sie ihm gegenüber
gleichgültig sind. Der Fluß aber half mir nicht, das Lärmen in mir war stärker.
Ich hoffte auch nicht mehr, dem
Aufrührer Ishak zu begegnen, reifer war ich geworden seit jenem Augenblick, da
ich in der Moschee verschwommen gewünscht hatte, ihn zu hören. Seine Meinung
und sein Rat betrafen mich heute nicht. Er hatte sein eigenes Ziel, und das
Missgeschick nahm er hin wie den Regen, wie eine Wolke. Ich aber dachte nicht
an dieses oder jenes bestimmte Mißgeschick. Ich wußte, meine ganze Welt war in
Frage gestellt. Die ganze, das klang höchst unbestimmt und war doch
höchst sachlich. Es bedeutete Verlorenheit und Ratlosigkeit, es bedeutete das
Abkommen vom Lebenspfad, da es doch keinen anderen Pfad gab, es bedeutete das
Gefühl eines namenlosen Schreckens wegen des leeren und öden Raums, der sich
um mich herum hätte auftun können.
Vielleicht wird jemand, ein Ferner,
Unbekannter, diese meine ungewöhnlichen Aufzeichnungen lesen, und ich
fürchte, er wird nicht alles verstehen, denn
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