Der Derwisch und der Tod
wenn ich mich seiner Großmut erinnerte, selbst sagen könnte: Ich habe getan, was ich tun mußte,
zu meinem eigenen Nachteil habe ihn nicht betrogen, die Entscheidung hat bei
ihm gelegen. „Ich weiß", sagte er. „Halten wir's jetzt so. Auch mein
Schwager möchte einen Rechtsstreit vermeiden, er ist nicht dumm, sondern hat
bloß keinen Anstand. Und habgierig ist er, zum
Glück. Vielleicht wird er ihm wirklich helfen, denn ihm liegt mehr an dem
Besitz als an einem kleinen, unbekannten Schreiber. Verlassen wir uns auf die
menschlichen Laster, wenn wir nicht anders können."
„Du opferst zuviel. Und ich könnte
es dir mit nichts als meiner Dankbarkeit vergelten."
Er lächelte und verringerte sogleich
den Wert seines Geschenks: „Es ist nicht viel, was ich gebe – ohnehin würde
ihnen alles gehören. Wer hat denn Lust, sich vor Gerichten
herumzustreiten!"
Jetzt konnte ich ihm abraten, soviel
ich nur wollte – er wäre bei seinem Entschluß geblieben. Aber ich mochte nicht
mehr mit dem Schicksal spielen.
Ich dankte ihm und wollte mich
verabschieden. Ich hatte die gute Stimmung wiedergefunden und die Hoffnung, er
hatte mich mit seiner Großzügigkeit besiegt, die frei war von Überlegung und
Berechnung. Zum Glück hatte er selbst auf alles
verzichtet, mich nicht mit seinem Opfer belastet, mich nicht beladen mit der
Pflicht zur Dankbarkeit, und er war mir nicht länger ein Feind. (Alles
konnte er in diesen ersten Tagen sein, noch nichts war festgelegt, bestimmt,
ich versuchte es von Augenblick zu Augenblick zu bestimmen, wie in einer
ersten, unsicheren Liebe, die sich leicht auch in Haß umkehren kann.) Ganz unverhofft sagte er da:
„Schade, daß du Derwisch bist!" Und lachte laut auf. „Ich würde dich zu
einem lustigen Fest einladen – Freunde werden kommen."
Und er
fügte listig offen hinzu:
„Ich
verhehl dir's nicht, denn morgen wirst du's ohnehin erfahren."
„Du liebst
nicht die Ruhe, die Ordnung, so wie sie ist?"
„Nein, die lieb ich nicht. Ich weiß,
du wirst mich tadeln, aber ‚euch das eure, mir das meine’. Daß wir nicht das
Gute tun, ist nicht wichtig, wichtig ist, daß wir nicht das Böse tun. Und was
wir vorhaben, ist nichts Böses."
Er scherzte sogar mit dem Koran,
doch ohne Bosheit und ohne Spott. Er liebte nicht das Bestimmte,
Geordnete, liebte nicht die Heiligtümer, er blieb ihnen gegenüber gleichgültig.
Auf einmal, ganz unvermittelt, brach
seine fröhliche Stimme ab. Sein Mund, eben noch ruhig und breit, zog sich
zusammen, krampfte sich zu einem Kreis, und durch die Wetterbräune des Gesichts
schlug kaum sichtbare Blässe. Ich blickte, seinen Augen folgend, zum Fenster
hinaus – die schlanke Dubrovnikerin und ihr Mann traten in den Hof.
„Kommen auch sie zu dem lustigen
Fest?"
„Wie? Nein."
Es dauerte einen einzigen
Augenblick, daß er so die Macht über sich verlor und ihn die Aufregung
übermannte. Seine Augen standen starr in den weiten Öffnungen der Lider, seine
Hände rührten sich verwirrt. Nur einen Augenblick, dann war alles vorbei, als
wäre nichts gewesen. Sein Lächeln kehrte zurück, er war wieder sicher,
ausgeglichen heiter, voll ruhiger Freude darüber, daß Freunde zu ihm kamen.
Doch wenn er auch beruhigt aussah, die Aufregung hielt ihn noch fest. Das
merkte ich daran, daß er mich nicht mehr sah, daß ich für ihn nicht bestand. Er
war nicht unfreundlich, blickte nicht an mir vorbei, forderte mich auf, wiederzukommen,
ermahnte mich, zu seiner Schwester zu gehen, dem Anschein nach war alles wie
sonst, aber seine Gedanken galten nicht mir – sie waren unten auf dem Hof, bei
der Frau, die ihn besuchen kam. Wir beide gingen den Gästen ein paar Schritte
entgegen, man traf sich an der Tür, während ich grüßte, warf ich einen raschen,
heimlichen Blick auf das Gesicht der Frau, sie schien mir nicht besonders
schön, so aus der Nähe, sie hatte magere, bleiche Wangen, in den Augen sah ich
die glimmenden Spuren einer Krankheit oder eines Grams, doch in ihren Zügen lag
etwas, das im Gedächtnis blieb. Ich schritt durch eine leichte Duftwolke und
entfernte mich mit dem Gedanken an die Unlösbarkeit all dessen, was zwischen
ihnen bestand. Darum also hatte er mit solchem Anteil von seinen beiden Knechten
und der Frau des einen gesprochen! War das auch seine Qual, war das auch seine
Ausweglosigkeit? Wäre er nicht verliebt gewesen, so wäre alles leichter und
einfacher erschienen, seine jähe Blässe aber konnte nicht trügen. Wußte sie
es? Wußte es ihr Mann,
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