Der Derwisch und der Tod
Das von früher."
Ich hatte geglaubt, der Mufti sei
nicht da, und hatte es bedauert, aber ich hatte mich damit abgefunden. Beinahe
war es mir lieber, daß ich es aufschieben konnte. Jetzt aber hatte sich
unvermittelt alles geändert, und was ich gewünscht hatte, würde nun geschehen.
Ich war verwirrt und unvorbereitet. Es verwunderte mich nicht, daß Kara-Zaim
mich bat, ihn zu erwähnen, aber es bekümmerte mich, daß er so rasch sein
Angebot zurücknahm, mir mit seiner Empfehlung eine Stütze zu bieten. In
Gedanken noch sich selbst sehend, im Lichte, auf dem Feld des Heldentums, hatte
er sich erboten, mein Beschützer zu sein. Und im gleichen Augenblick war er
zurückgewichen, sobald er sich erinnert hatte, daß alles ferne Vergangenheit
war. Aufgeflammt und leergebrannt war er im gleichen Augenblick. Um das
narbenbedeckte Gesicht schwebte noch das Glück über das Gewesene und schon
wieder ängstliche Unsicherheit über alles Gegenwärtige. Vielleicht stießen in
ihm ohne Unterlaß zwei Zeiten aufeinander, unterschiedlich in allem, aber
unzertrennbar – weder aus der einen noch aus der anderen konnte er heraus.
Während er am Hauseingang mit einem
Mann flüsterte, während ich den Verlust seiner armseligen Unterstützung im
stillen bejammerte, kam mir ganz verworren der Gedanke, meine Unsicherheit sei
wohl von gleicher Art wie die seine. Kläglich erhofften wir voneinander Hilfe,
da keiner so recht auf sich selbst bauen mochte. Wir zählten Ohnmacht zu
Ohnmacht, damit eine schwache Hoffnung herauskomme. Ihm war das Hoffen geblieben,
doch es war ebensowenig wert wie die Trümmer meines Hoffens.
Der Mann kam aus dem Hause zurück,
ließ Kara-Zaim mit einem geflüsterten Wort oder einem Zeichen etwas wissen,
und Kara-Zaim wies mich mit einer Handbewegung, die heißen sollte: Ich hab dir
geholfen, geh! zum Haus. Wortlos geleitete er mich noch zum Eingang, jetzt aber
hieß das: Geh hinein, vielleicht wird's gut. Freilich nahm ich das alles nur
wie beiläufig auf, verschwommen, und ebenso verschwommen sah ich ein
verkrüppeltes Zitronenbäumchen vor dem Haus und eine noch mehr verkrüppelte
Palme, die unseren harten Winter kaum überstanden hatte und in der
Frühlingssonne dahindämmerte wie ein Kranker. Auch an den Weg, den ich ging, kann ich mich
nicht erinnern, auch nicht daran, wieviel Menschen mir mit den Blicken folgten,
denn ständig dachte ich an das erste Wort, das ich zu sprechen hatte. Das erste
Wort! Wie eine Waffe, wie ein Schild. Alles würde von ihm abhängen, nicht weil
es etwas erklären würde, sondern weil es, wenn es ungeschickt ausfiele, Grund
für mich gäbe, allen Mut zu verlieren, weil es mich lächerlich machen und sich
wie ein Urteilsspruch an mich heften konnte. Unwahrscheinlich viele Worte
erprobte ich in meiner Vorstellung, ein wahres Wunder, was sich da alles als
erster Gedanke aufdrängte. Das Gehirn schien umgewühlt, ein mächtiger Stoß
schien alles verkehrt zu haben, so daß nichts als Wirrnis und Unsinn
zurückblieb. Während ich diesen Weg zurücklegte, der mir als düster und
unerforscht in der Erinnerung haftet, kam mir alles mögliche in den Sinn, vom
frommen Flehen bis zum Fluch. Nein, auch niederschreiben kann ich es nicht,
was alles bei dieser ersten Begegnung, diesem ersten Kennenlernen aus mir
herausdrängte. Es war ein schwer erklärbarer Anfall von Irrsinn, so
unbegreiflich schien, was ich, was mein Gehirn da ersann, aufschäumend und
alles Vernünftige verspottend.So als wäre der Iblis [23] selbst, der Teufel, in
mich gefahren und flüsterte mir so unwürdige und lästerliche Worte zu,
überredete mich zu so lächerlichen und unwürdigen Handlungen, daß mir
schauderte. Warum widerfuhr mir das gerade in dem Augenblick, da ich die
stärkste innere Sammlung brauchte! Aber so ist es, er kommt eben dann, wenn du
es nicht gewärtigst und wenn es am schlimmsten für dich ist. Denn das denken,
was ich dachte, ich, ein ernsthafter und gesetzter Mensch, nämlich: vor den
Mufti hintreten und ihn eine antiochianische Ziege nennen – das konnte nur ein
verworfener Teufelswink sein. „Weiche von mir, du Abtrünniger Gottes!"
drohte ich und reizte ihn damit nur noch mehr.
Verwirrung schufen mir auch jene
Pflanzen des Südens in hölzernen Kisten, Palme und Zitrone, vor dem Haus. Ich
wußte, der Mufti kam aus Antiochia, und er kannte nicht unsere Sprache, doch wo
dieses Antiochia liegt, in welchem Lande, und welche Sprache man dort spricht,
das wollte mir nicht in den Sinn
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