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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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derselbe."
    „Na, doch nicht ganz derselbe.
Zwanzig Jahre sind vergangen. Komm rein!"
    Als er die Tür hinter uns
geschlossen hatte, schien er unsicherer zu werden.
    „Der Mufti hat dich
herbestellt?"
    „Ich muß mit ihm sprechen. Der
Wächter wollte nicht sagen, wo er sich aufhält."
    Durch den Garten führte, weiß
schimmernd, ein ebener, sauberer Weg, im Würfelmuster kleiner Kieselsteine,
eingefaßt von Buchsbaum und Perlenstrauch mit zartgrünen Blättchen. In dem
Garten hatte jemand mit glücklicher Hand Obstbäume, Birken, Wacholder und
Wildrosen verstreut angeordnet, hie und da eine einzelnes Gehölz in die glatte
Rasenfläche gesetzt, woanders wiederum Gruppen gepflanzt und auf solche Weise
ein Spiel geschaffen, das der Natur glich, und eine Natur, die dem Spiele
glich. Diese Blüten- und Laubschönheit des riesigen Raumes wirkte wie ein
Wunder, vielleicht am meisten wegen des Gedankens, daß all dies geschaffen sei,
damit die Füße eines bestimmten Menschen das hellgrüne Gras beträten, damit der
Blick eines bestimmten Menschen genießend auf den zarten Wipfeln der Bäume
ruhe. Wahrhaftig, es scheint, als sei Schönheit nur ein Zuviel.
    Der Soldat dämpfte die Stimme. Auch
ich. Wir flüsterten beinahe in diesem gereinigten, glattgeharkten, gepflegten
Wald, dem man die Wildheit genommen, die Frische aber belassen hatte, in
diesem stillen, von einer hohen Mauer umfaßten Raum, wo auch den Stürmen die
Flügel beschnitten waren.
    Der Soldat blickte den Weg entlang,
zu dem weißen Haus hin, das in Bäumen verborgen stand. Mein Blick folgte dem
seinen. Im Auge wechselten Flimmerndes und Grünes, Grelles und Verträumtes –
das kam von der Sonne auf den Fensterscheiben und von dem sanften Neigen der
Zweige.
    Der Soldat hieß Kara-Zaim. Jetzt war
er ein Schatten des einstigen Kara-Zaim, jetzt war er ein schäbiger Rest von
dem einstigen unerschrockenen Jüngling, der mit gezogenem Säbel gegen gezogene
Säbel vorging, bis ihm einer von diesen, ein Ulanensäbel, durch die Brust fuhr,
den Eingang vorn zwischen den Rippen, den Ausgang hinten zwischen den Rippen
fand. Früher schon hatten sie ihn durchstochen, niedergehauen, zerschnitten,
verstümmelt, ihm fehlten die Hälfte des linken Ohres und drei Finger der linken
Hand, sein Gesicht war von roten Furchen wirr durchzogen, keine neue Haut
wuchs mehr über sie; wie er sonst noch gezeichnet war, das verbarg er in den
Kleidern; doch immer hatte er es leicht überstanden und war in die Schlachten
zurückgekehrt. Er hatte kräftiges Blut, und die tiefen Schnitte ins junge
Fleisch wuchsen rasch wieder zu. Als ihn aber der feindliche Säbel, der
Ulanensäbel, durchbohrt und Öffnungen geschaffen hatte, daß das Sonnenlicht zum
erstenmal in sein Inneres drang, als Spitze und Schneide ihren Weg dort
genommen hatte, wo kein Weg für sie war, durch die Lungen, da stürzte Kara-Zaim
nieder und regte sich nicht mehr. Beim Rückzug ließen sie ihn liegen, der
Feldscher berührte nur im Laufen die kalte Hand des Erstarrten und eilte hinter
den Soldaten her – mit dem Vorsatz, für ihn ein Gebet zu sprechen, sobald er
entkommen und an einem sicheren Ort wäre. Kara-Zaim erwachte in der Nacht, von
der Kälte, zwischen Toten, kraftlos und still gleich ihnen. Er blieb am Leben,
aber er taugte nicht mehr zum Soldaten. Verloren hatte er die Kraft und den
Schwung und die Freude. Jetzt war er Hüter des Gartens oder des Hauses oder ein
Gefangener, der Almosen empfängt.
    „Gut geht mir's." Er schaute
mich fröhlich an. Ich zwang mich, ruhig in sein zerfurchtes Gesicht zu blicken.
„Die Arbeit ist nicht schwer, und der Mufti hat Vertrauen zu mir. Ich bin eine
Art Aufseher über die Wächter, bring ihnen auch dann und wann was bei, schau
nach dem Rechten, na, und so ähnliches."
    „Du könntest auch etwas anderes
sein. Festungsvogt. Rechte Hand des Polizeimeisters. Sie hätten dir auch ein
kleines Gut geben können, wie anderen, damit du auf eigenem Grund und Boden
stündest."
    „Wozu?" fragte er beunruhigt.
„Sie haben mir's angeboten, ich hab's nicht gewollt. Ich bin zufrieden. Hier an
diesem Platz paßt nicht jeder."
    Es kränkte und schmerzte mich, wie
er so ängstlich zu dem Haus hinüberblickte, der einstige Recke Kara-Zaim.
Würde auch ich so blicken müssen, wenn ich mich auf den Weg dorthin machte?
Wovor fürchtete er sich, er, der sich vor nichts gefürchtet hatte?
    Ich sagte, ohne ihn kränken zu
wollen: „Was für ein Held bist du gewesen! Großer Gott, was für

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