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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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kommen.
    Zum Glück brauchte ich gar kein
erstes Wort, nichts brauchte ich zu sagen, nichts brauchte ich zu tun.
    In dem Zimmer, in das sie mich
führten, spielte der Mufti Schach mit einem Manne, den ich vorher nie gesehen
hatte. Das heißt, das Spiel war zu Ende oder unterbrochen, anfangs wußte ich
nicht, was da vor sich ging, es berührte mich auch nicht; der unbekannte Mann,
krankhaft dick, ging mit einem müden, geduldig untertänigen Lächeln auf alles
ein, wandte beharrlich immer wieder den Kopf zu mir hin, damit er die
Aufmerksamkeit des Muftis von sich ablenke. Gewiß wünschte er mir Erfolg in
allem, was ich wünschte, nur damit der Mufti mich bemerke.
    Der Mufti aber sah noch immer nicht,
daß jemand ins Zimmer getreten war (dabei mußte er gesagt haben, daß man mich
hereinlassen solle, denn man hatte ihn gewiß gefragt), er antwortete auch nicht
auf meinen Gruß.
    Den ganzen
Winter hatte er in überheizten Zimmern gehockt, verschreckt
von der rauhen Kälte, die ellenlange Eiszapfen an den Vordächern
hatte wachsen lassen, sicher hatte er bestürzt auf sie geblickt mit gequältem
gelbem Gesicht, so wie seine Pflanzen des Südens, die kaum noch
lebendig den Frühling empfingen. Mit dem Rücken zum Fenster, in einen
pelzgefütterten Mantel gehüllt, wärmte er sich in der Sonne, mißmutig,
gallig.
    Beide
überfüttert, nur mit verschieden verteiltem Fett, farblos und zerknittert,
angewelkt von der Zimmerluft, schienen sie seit dem vorigen Herbst über
diesem schwarzen Ebenholztisch und dem Schachspiel aus Elfenbein
zu sitzen.
    Anfangs
zornig, dann immer matter, immer willenloser, redete der Mufti, und
der andere stimmte ihm zu. Seltsam wirkte es, wie der Mufti etwas
fragte, etwas behauptete, etwas antwortete. Nur mit Mühe gelang es mir,
einen gewissen Sinn zu erfassen.
    „Etwas ist
nicht in Ordnung."
    „Ich sehe
es."
    „Nichts
siehst du."
    „Etwas ist
nicht in Ordnung."
    „Die ganze
Zeit stand ich besser."
    „Ich weiß."
    „Was siehst
du?"
    „Irgendwo
habe ich verkehrt gezogen."
    „Wie kommt
es dann, daß ich verliere?"
    „Das ist
mir völlig unklar."
    „Sicher
hast du irgendwo verkehrt gezogen."
    „Sicher
habe ich verkehrt gezogen."
    „Wie kommt
dein Springer hierher?"
    „Ah, das
ist der Fehler. Ich konnte gar nicht auf dieses Feld kommen."
    „Dann also
Schach."
    „jawohl.
Übrigens, der Scheich ist gekommen."
    „Warum paßt
du nicht auf? Ich kann ja nicht auf alles achten."
    „Gewöhnlich
widerfährt mir das nicht."
    „Wenn der
Springer hier steht, schlage ich ihn, nicht wahr? Ich schlage ihn.
Schlage. Ihn."
    „Und
matt."
    „Was für
ein Scheich?"
    Der Mann
zeigte auf mich, glücklich, und der Mufti wandte sich um.
    Sein
Gesicht war gelbgrau, schlaff, schwere Säcke unter den Augen. Er fragte
mich, ohne aufzustehen:
    „Spielst du
Schach?"
    „Kaum."
    „Was willst
du?"
    „Du sagtest, ich solle kommen. Ich
hatte um ein Gespräch mit dir gebeten."
    „Ich sagte es? Ach ja. Zu wem? Wie
ist es draußen?"
    „Sonnig. Warm."
    „So sagten sie auch im Winter: Es ist
nicht kalt. Sind die Winter hier immer so streng?"
    „Fast immer."
    „Ein schreckliches Land."
    „Man gewöhnt sich daran."
    „Ein ärgerliches, langweiliges Land.
Spielst du Schach?"
    Der dicke Mann mischte sich ein,
leise:
    „Er spielt nicht, sagt er."
    „Und was will er?"
    „Er hat eine Bitte."
    „Wer ist er?"
    Ich sagte ihm, wer ich sei und daß
ich mich in Not befände und daß ich Gerechtigkeit suchte und daß ich sie von
keinem erhalten würde, wenn nicht von ihm.
    Der Mufti blickte auf den Mann vor
sich, seinen Ärger nicht verhehlend, beinahe mit Verzweiflung.
    Was für einen Fehler hatte ich
gemacht?
    Er stand auf, drehte sich nach links
und rechts, als suchte er einen Fluchtweg, dann fing er an, im Zimmer auf und
ab zu gehen, setzte behutsam die Füße auf den sonnenbeschienenen Boden. Darauf
blieb er stehen und begann, mich mürrisch anblickend, zu überlegen und zu sprechen:
    „Darüber habe ich mich mit dem Mulla
von Stambul unterhalten. Ich plauderte gern mit ihm, manchmal, nicht wegen
seiner Klugheit – kluge Menschen können sehr langweilig sein –, sondern weil er
oft etwas Unerwartetes zu sagen verstand, was einen überraschte und
aufmunterte – verstehst du, Malik, sicher verstehst du es nicht! –, was einem
das Gefühl gibt, es lohne sich, zuzuhören und zu antworten. Der Mulla sagte:
Das menschliche Wissen ist unbedeutend. Ein kluger Mensch lebt darum nicht von
dem, was er weiß. Aber ich

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