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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Sonnenstrahl erlosch, und
ich sah mich in eisig erstarrter öde, vor mir eine lange Todesnacht. Und nicht
einmal zu schreien wagte ich.
    Verschwunden war mein
Selbstvertrauen, dahin die Leichtigkeit, mit der ich die Worte gemischt hatte,
ich spürte, ich würde mich nicht mehr aufschwingen, nicht mehr die Flügel
entfalten, sondern über die Erde kriechen wie ein Blinder.
    Eine Handvoll irrer Worte noch,
Gott, du mußt sie mir geben, ich kämpfe um ein Leben! So betete ich
verzweifelt, doch das Gebet half nicht. Tödlich traf mich der Fehlschlag, ich
las ihn auf seinem Gesicht.
    Du verschwindest, Bruder Harun –
wohin?
    Alles, was ich noch sagte, war
unnütz und vergebens. Ich sah mich gezwungen, meine Absicht zu enthüllen.
    Immer schneller überflutete den
Mufti die Langeweile, immer endgültiger versank er im Morast toter
Willenlosigkeit. Es war, als begänne bei ihm das Ersterben der Welt.
    Malik schlief, der Kopf hing ihm auf
die Brust.
    „Ich bin müde", sagte der
Mufti, beinahe ebenso entsetzt wie ich. „Müde bin ich. Geh jetzt."
    „Ich habe nicht alles gesagt."
    „Geh jetzt."
    „Gib den Befehl, ihn
freizulassen."
    „Wen freizulassen?"
    „Meinen Bruder."
    „Komm morgen wieder. Oder sag es
Malik. Morgen."
    Malik fuhr auf, erschrocken:
    „Was ist geschehen?"
    „Mein Gott, wie langweilig."
    „Möchtest du, daß wir Schach
spielen?"
    „Nichts ist geschehen."
    Die Antworten kamen bei ihm in
falscher Folge – er übersprang Fragen, merkte sich seltsamerweise dieses oder
jenes Wort, auf das dann später eine Antwort folgte, so daß sie gänzlich sinnlos
schien.
    Er verließ das Zimmer, ohne uns
anzusehen, vernichtet, vielleicht hatte er ganz vergessen, daß wir hier waren.
Vielleicht flüchtete er.
    Ich hatte die Langeweile nicht
besiegt. Wir waren ihr beide unterlegen, kaum daß ich mich anschickte, gegen
sie vorzurücken. Hätte ich gewußt, von welcher Art sie war, so hätte ich nicht
einmal den Versuch gewagt.
    Malik warf mir einen mörderischen
Blick zu, brachte seinen trägen Körper in hüpfende Bewegung und eilte dem Mufti
nach.
    „Er hat gesagt, ich soll morgen
wiederkommen."
    „Ich weiß von nichts. Uch, zugrunde
gerichtet hast du mich."
    Also war nun alles aus. Vielleicht
hätte ich ihn doch an beiden Ohren packen oder ihm mit dem gekrümmten
Zeigefinger an die gelbe Stirn pochen sollen. Und wieder wußte ich nicht, wo
Antiochia liegt und welche Sprache man dort spricht. Die ganze Zeit über hatte
ich das Gefühl, ich stünde auf dem Kopf oder ich hinge zwischen Fußboden und
Leuchter, stützte die Decke mit den Schultern – trübsinnig, verblödet wegen
seiner krankhaften Langeweile und meines Wunsches, ihrer Herr zu werden. Mit
verdrehter Sprache hatte ich gesprochen, wahrhaftig, aber vergebens. Vielleicht
würde ich es auch morgen vergebens tun, denn der Mißerfolg von heute würde mich
von vornherein entmutigen. Ich würde kommen müssen, aber ich würde schlotternd
kommen und nicht bloß nicht wissen, wo Antiochia liegt – verflucht soll es
sein! –, sondern nicht einmal, wie der Sohn meiner Mutter heißt. Abermals
würden wir uns quälen wie ein altes Paar im Ehebett, in der ersten Nacht nach
einer Nacht des kläglichen Versagens, nur würde morgen alles weniger lang
dauern, denn wir würden nicht viel erhoffen, weder ich noch er.
    Jetzt hatte ich keine Eile, kein
Ziel. Die träge gelbe Hand hatte nicht in einem Augenblick überraschender
Munterkeit geschrieben: Den Gefangenen Harun freilassen.
    War darum der Gefangene, Harun, in
noch tiefere Finsternis hinabgesunken?
    Ich ging hinaus, man führte, man
drängte mich hinaus, und vor dem Haus erwartete mich der vergessene Kara-Zaim.
Den Menschen war er nach zwanzig Jahren aus dem Gedächtnis entschwunden, ich
hatte ihn nach einer Stunde vergessen. Er freilich konnte und konnte nicht vergessen.
    „Du bist lange geblieben",
bemerkte er und sah mich neugierig an. „Kann man einen Zweikampf in kürzerer
Zeit bestehen?"
    „Gewöhnlich kommen sie schneller
heraus. Und gewöhnlich sind sie verwirrt."
    „Und ich,
bin ich verwirrt?"
    „Das würde
ich nicht sagen."
    Kara-Zaims Auge blickte nicht gerade
scharf. Mochte es sein, wie er sagte.
    „Wir haben
über mancherlei geplaudert."
    „Auch über
mich?"
    „Er hat
gesagt, ich soll morgen wiederkommen."
    „So. Also
morgen."
    Und wieder gingen wir auf dem
sauberen Pfad von Kieselsteinchen. Und abermals würden wir hier gehen, morgen.
    Ich hatte geglaubt, ich hätte nicht
die Kraft, mich

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