Der deutsche Goldrausch
als äußerst kompliziert, schließlich muss sich die ehemalige SED-loyale Blockpartei CDU mit der in der DDR verbotenen SPD zusammenraufen.
In der Zwischenzeit führt die Regierung Modrow die Amtsgeschäfte weiter und kontrolliert damit auch die Treuhand. Anfang April arbeiten 72 Mitarbeiter in der Zentrale, die 15 Außenstellen sind nur spärlich besetzt. Betrieb für Betrieb sollen die Mitarbeiter der neuen Behörde die sozialistischen Einheiten in Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und in Aktiengesellschaften umwandeln: 7894 Volkseigene Betriebe, so die erste Bestandsaufnahme, müssen auf einen Schlag umgewandelt werden. Das bedeutet vor allem: viel Papierkram für Beamte, die bis dahin die Pläne der sozialistischen Plankommission umgesetzt haben. Nun sollen sie über Nacht die Marktwirtschaft in der DDR einführen.
12. April 1990, Ost-Berlin
Für Detlef Scheunert brechen neue Zeiten an. Mit seinen Kollegen im Ministerium für Schwermaschinenbau verfasst er nach der Wahl einen Bericht. Sie wollen den neuen Herren das Ministerium ordnungsgemäß übergeben. Alle, die bis dahin ihren Posten nicht verlassen haben, schreiben mit an dem Bericht, der die chaotischen Zustände in vielen volkseigenen Kombinaten der DDR beschreibt. Dann warten sie auf ihre neuen Herren. Preußisch. Diszipliniert. Geordnet.
Lothar de Maizière hat fast vier Wochen gebraucht, um die Partner seiner Regierungskoalition auf ein Programm festzulegen. Der CDU-Vorsitzende hat eine große Koalition mit der SPD, der »Allianz« und liberalen Parteien gebildet. Zunächst ändert die Regierung die Struktur der Ministerien. Die vielen Ministerien, die für die Industrie zuständig waren, werden zu einem einzigen Wirtschaftsministerium zusammengefasst. Chef des neuen Ministeriums wird Gerhard Pohl, CDU-Mitglied, Volkskammermitglied schon unter der SED, ehemals in einem Feintuchwerk in der Lausitz als Ingenieur und stellvertretender Leiter tätig.
Scheunert rechnet täglich mit seinem Rauswurf, immerhin ist er NVA-Offizier und ein SED-Spitzenkader in spe. Doch er darf bleiben. »Die Gnade der späten Geburt«, denkt er. Ihm wird ein Referentenposten beim Wirtschaftsminister für die neu gewählte Volkskammer angeboten. Scheunert
findet das spannend. Eine parlamentarische Demokratie, die ihren Namen zu verdienen scheint,beginnt mit dem Tag nach der Volkskammerwahl. Da will er dabei sein.
Scheunert freut sich auf den neuen Posten, auf die neuen demokratischen Zeiten. Ihn stört auch nicht, dass er in seinem Freundeskreis »Wendehals« genannt wird. Mit solchen Freunden hat er bald keinen Kontakt mehr. Eben hat er noch für die »Roten« gearbeitet, und jetzt arbeitet er für die »Schwarzen« und ist schon wieder oben. »Wie kann das sein?«, fragen sich die ehemaligen Freunde. Scheunert ignoriert die Vorwürfe und stürzt sich in die Arbeit.
Vor der neuen Volkskammer liegt eine gigantische Aufgabe: Zum einen haben die Wähler sich klar für eine schnelle Einheit entschieden, die parlamentarisch vorbereitet und abgesegnet werden muss. Zum anderen will sich die neue Volkskammer als frei und unabhängig erweisen, die DDR demokratisieren, neue und gerechtere Gesetze erlassen. Wenigstens in den letzten Monaten ihrer Existenz wollen die Volkskammer-Abgeordneten rechtsstaatlich handeln.
Dessen ungeachtet vertieft sich die Krise der DDR-Wirtschaft. Nur weil es ein neues Parlament gibt, bezahlen die Betriebe noch lange nicht ihre wechselseitigen Rechnungen oder widerstehen Betriebsleiter den Avancen westdeutscher Investoren und Berater. Im Gegenteil: Die Zahl der Joint Ventures nimmt nach der Wahl weiter zu. Einige Generaldirektoren und Betriebsleiter versuchen sogar, die Kombinate oder Volkseigenen Betriebe auf sich selber übertragen zu lassen und deren Eigentümer zu werden. 11
Detlef Scheunert beobachtet in den nächsten Wochen mit Interesse die Versammlung von Theologen, Wissenschaftlern, Künstlern, Publizisten, Ärzten, Diplomingenieuren, Lehrern und Handwerksmeistern, die die Volkskammer bilden. Die Abgeordneten sind vom ersten Tag an völlig überfordert, ist sein Eindruck. Die frischgebackenen Parlamentarier haben weder wie er auf einer staatlichen Führungsakademie gelernt, wie man Abläufe strukturiert und große »Organisationseinheiten« führt, noch kennen sie das wirkliche Ausmaß der Krise der DDR-Wirtschaft. Die vielen kleinen Tricks, mit denen über Jahre die Bilanzen geschönt wurden, die Nebenkassen, die
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