Der deutsche Goldrausch
ein bißchen Chaos nötig ist, wenn aus der Asche kommunistischer Mißwirtschaft eine Marktwirtschaft entstehen soll … Chaotisches ist hüben wie drüben im Gange, sozusagen Wild-West und Wild-Ost. Man muß das laufen lassen, wir sollten das in Kauf nehmen.«
Kartte setzt darauf, dass sich der Markt zunächst selber reguliert: »Wir sollten nicht überall zu fummeln und alles zu regeln versuchen. Marktwirtschaft kann sich nur bilden, wenn sie von unten her wächst. Wir sollten natürlich auch in der Wettbewerbspolitik immer versuchen, den GAU, den größten anzunehmenden Unfall, zu verhindern. Andererseits muß man auch den Mut haben, viele Dinge laufen zulassen. Wir sollten uns aber eine Distanz zu diesem fruchtbaren, zu diesem kreativen Chaos bewahren. Wir stehen nämlich vor einer völlig anderen Situation als 1948 in der Westzone, als alle arm waren. Jetzt haben wir auf der einen Seite die arme DDR, auf der anderen den großen reichen Bruder, der helfen kann.«
Der Chef des westdeutschen Kartellamts bekennt aber, dass er kaum Einfluss auf die Situation in der DDR hat: »Wir beobachten mit Argusaugen, was sich drüben tut, und wir verfolgen auch, welche Auswirkungen das auf den Wettbewerb in der Bundesrepublik hat. Nach unserem geltenden Kartellgesetz ist die DDR für uns noch Ausland. Wir können also drüben mit unserem Gesetz nicht einmarschieren.« 14
Kann der Westen nicht? Die Bundesregierung tut genau das. Nicht nur die Konzernlobbyisten und die Parteiberater aus dem Westen sind in die DDR eingefallen, auch die Beamten aus Bonn kommen lange bevor die Wiedervereinigung ausgehandelt ist.
17. April 1990, Ost-Berlin
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble reist mit Hans Tietmeyer, einem beurlaubten Mitglied des Bundesbank-Vorstandes und Berater des Kanzlers, zum DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière. Schäuble soll herausfinden, wie viel Geld die DDR von der Bundesregierung erwartet. Der Innenminister notiert: »Es war Lothar de Maizière genauso klar wie Tietmeyer und mir, daß mit Einführung der Westwährung die DDR-Betriebe schlagartig nicht mehr konkurrenzfähig sein würden.« 15
Öffentlich macht die Bundesregierung diese Erkenntnis nicht. Im Gegenteil: Wenige Tage zuvor hat Helmut Kohl bei der 125-Jahr-Feier des Chemieriesen BASF gesagt: »Wie in der Bundesrepublik kann auch in der DDR die soziale Marktwirtschaft aus dem Nichts funktionieren.«
Die Schattentreuhand
12. September 1990, Ost-Berlin
Seit Anfang des Monats arbeitet Detlef Scheunert bei der Treuhand. Er hätte auch mit Jochen Steinecke nach Bonn gehen und dort für die FDP arbeiten können. Von der politischen Ausrichtung her hätte ihm das gefallen, doch er wollte seine Familie nicht verpflanzen.
Und noch etwas hat ihn abgehalten: Der parlamentarische Betrieb in der Volkskammer enttäuscht ihn, zu sehr wurde er von westdeutschen Beratern und Einflüsterern beeinflusst. Nach all den Enthüllungen über die Eliten, denen er in der DDR gefolgt war, nach all den Korruptionsvorwürfen und den Geschichten über die »Stasi-Methoden« der DDR-Regierung hatte er so sehr das Bedürfnis nach »einer reinen, naiven Welt« verspürt, und dann musste er erfahren, dass auch in einem freien, demokratischen Parlament gekungelt wird. Scheunert kommt der politische Prozess schon wieder »so schmierig« vor. Also nimmt er das Angebot von Detlev Karsten Rohwedder an und stellt sich im August bei der Treuhand vor.
Scheunert hofft, direkt für Rohwedder arbeiten zu können, schließlich kennt er die Akteure, die Strukturen, die Zusammenhänge in der DDR. Sein großes »Asset«, das Pfund, mit dem er glaubt wuchern zu können, ist sein Wissen über die inneren Zusammenhänge im DDR-Staatsapparat: »Ich weiß, wer mich bescheißt und wer nicht«, denkt er. Doch seine Hoffnung wird enttäuscht. Erst später versteht Scheunert, dass man ihn aus politischen Gründen nicht in der Nähe von Rohwedder haben wollte. Ein SED-Spitzenkader, ein Offizier der Nationalen Volksarmee, direkt im Vorzimmer von Rohwedder – wie hätte das ausgesehen? Die Ablehnung »kratzt« ein wenig an ihm. Er beginnt zu begreifen, dass in der neuen Bundesrepublik und in der neuen Treuhand die Menschen aus dem Osten »Underdogs« sein werden, die sich unterzuordnen haben – »die neuen Neger«, wie es ihm entfährt.
Schließlich bietet man ihm eine Assistentenstelle beim Vorstand an. Scheunert ist inzwischen dreißig. Die meisten Assistenten sind sehr viel jünger und
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