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Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Dirk
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Produktionsengpässe, die Lieferdeals mit dem Westen, für den man Elektrogeräte und Kleidung produzierte. Diese Waren wurden dem Klassenfeind unter Produktionswert verkauft, weil man dringend Devisen brauchte. Das war für Scheunert der Alltag. Für viele Angeordnete ist dieses Chaos neu.

    Noch mehr wundert sich Scheunert über die Westdeutschen, die in der Volkskammer überall präsent sind. Die Ost-SPD wird vor allem von der Ruhr-SPD beraten. Die Volkskammer-Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl hat Berater aus dem Westen, die nebenan in einem eigenen Büro sitzen. Die CDU, die FDP, die Grünen – alle Parteien aus dem Westen haben Einflüsterer geschickt. Doch nicht nur politische Berater lernt Scheunert kennen, auch Konzernlobbyisten laufen ihm über den Weg. Er erkennt die Westdeutschen »nach fünf Sekunden« an der Kleidung, an den teuren Anzügen und den feinen Lederslippern aus Italien. Sie sitzen in der Lobby der Volkskammer, stehen in den Fluren, teure Aktentaschen in der Hand, und reden auf die neuen Abgeordneten ein. Manche Ostdeutsche fallen durch bunte Krawatten zu grauen Anzügen aus 55 Prozent Polyester auf, »Made in Yugoslavia«.
    Scheunert staunt, dass sich die Abgeordneten der DSU bald über Dienstwagen freuen dürfen – brandneue Audis –, die der Autohersteller aus Ingolstadt zur Verfügung stellt. Die westdeutschen Konzerne und ihre Verbände wollen nichts dem Zufall überlassen. Die Geschäfte, die sie seit Ende 1989 in der DDR angebahnt haben, sollen weiter laufen. Sollte es Probleme durch die neue Volkskammer geben, dann wollen sie rechtzeitig im Bilde sein. Die frei gewählte Volkskammer sollte zum ersten Mal unabhängig sein. Nun ist sie zwar nicht mehr dem Einfluss der SED, dafür aber dem der Lobbyisten und Berater aus dem Westen ausgesetzt.
     
    Reinhard Höppner, Abgeordneter der SPD und gerade zum Vizepräsidenten der Volkskammer gewählt, macht ähnliche Beobachtungen wie Scheunert. Schon vor seiner Volkskammer-Zeit hatte er beobachtet, wie sich Interessengruppen aus dem Westen in der DDR ausbreiteten. Nicht nur den Parteien, auch den Industrie- und Handelskammern, den Lions- und Rotary-Clubs, Verbänden wie dem BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) oder dem VDI (Verein Deutscher Ingenieure) sowie den Gewerkschaften schien plötzlich zu dämmern, wie schnell die Wiedervereinigung kommen könnte. Überall in Ostdeutschland wurden Büros eröffnet und Seminare veranstaltet. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Da hat es einen Wettlauf gegeben«, so Höppners Analyse.
    Höppner, dem Mathematiker aus Ost-Berlin, gefällt der Einfluss der vielen Westdeutschen nicht. Einem Jour fixe mit einem Westberater, der ihm erklären soll, wie man ein Parlament organisiert, entzieht er sich beharrlich. Ohne Frage ist vieles, was die frisch gewählten Abgeordneten zu entscheiden
haben, völlig neu für sie, und sie sind dankbar für die Hilfe – in vielen Fällen auch Höppner. Dennoch fühlt er sich den Ratschlägen der Westdeutschen oft hilflos ausgeliefert, weil man sich ihnen nicht selten wider besseres Wissen ergeben muss. »Wir konnten neue Gesetze in der Volkskammer erlassen, soviel wir wollten: Die Gesetze West hatten sich schon lange ausgebreitet«, wird er später sagen. Oft erkennen die Abgeordneten gar nicht, welcher Berater an welcher Schraube gedreht und wem er was eingeflüstert hat. Am aktivsten ist der Lobbyist der großen Energiekonzerne aus dem Westen. Detlef Scheunert nennt ihn in Anlehnung an seinen Namen insgeheim »Schleimle«.
    Der Energiesektor ist wie alles andere in der DDR-Wirtschaft staatsmonopolistisch organisiert. Fünfzehn Energiekombinate produzieren mit Braunkohlekraftwerken und zwei Kernkraftwerken den Strom für das ganze Land, gelenkt von einer gemeinsamen Führung. Für die westdeutschen Energiekonzerne ist das optimal: Kann man die Kombinatsführung unter Kontrolle bringen, hat man das gesamte Energiegeschäft des Landes im Griff.
    Kartellierte Strukturen sind den Konzernen im Westen durchaus bekannt: Der Strommarkt in der Bundesrepublik wird von einem Oligopol beherrscht. Acht Anbieter haben fast die gesamte Produktion und die komplette Verbreitung der Energie unter ihrer Kontrolle. Wettbewerb gibt es kaum, die Anbieter haben sich abgesprochen, wer wo produziert und den Strom dann verteilen darf. Und das soll im wiedervereinigten Deutschland überall so sein. Konkurrenten aus dem In- oder Ausland kann man nicht brauchen. Lobbyisten wie »Schleimle«

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