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Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Dirk
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kommen ausnahmslos aus dem Westen, meist direkt von Universitäten mit elitärem Ruf. Er hatte gehofft, einen Sprung auf der Karriereleiter
zu machen. Doch dazu fehlt ihm einiges: die Erziehung des Westens, die Netzwerke, die Kontakte. Und er hat keinerlei Ahnung von Betriebswirtschaftslehre, er weiß nicht, wie man ein Unternehmen in der Marktwirtschaft führt, es verkauft, saniert, umstrukturiert.
    Und es kommt noch etwas hinzu: Obwohl Ost- und Westdeutsche dieselbe Sprache sprechen, verstehen sie einander oft nicht. Wenn ein Ostdeutscher »Bilanz« zieht, dann berechnet er zum Beispiel: Wie viele Steine brauche ich, um ein Haus zu bauen? 2500. Dann ist für ihn das Ergebnis der Bilanz: 2500 Steine, also immer positiv. Dass im Westen, in der Marktwirtschaft, Aktiva und Passiva gegenübergestellt werden und erst die Differenz das Bilanzergebnis ergibt, muss Scheunert wie die meisten Ostdeutschen erst lernen.
    Doch in den ersten Wochen kommt es auf solches Fachwissen gar nicht an, das merkt Scheunert schnell. Am Alexanderplatz herrscht zunächst ein »konstruktives Chaos«. Schnelle Entscheidungen sind wichtig. Scheunert erinnert sich an den Spruch eines Kollegen aus dem Ministerium: »Wenn du den Überblick verloren hast, dann musst du wenigstens den Mut zur Entscheidung haben.«
    Detlev Karsten Rohwedder stellt seit August ständig neue Mitarbeiter ein. Die irren nun durch die Flure auf der Suche nach Büros, Schreibtischstühlen, Sekretärinnen. Scheunert bemerkt, dass fast alle aus dem Westen kommen: »Man erkannte sofort West und Ost an der Kleidung, aber auch an der Körperhaltung. Während die Ostdeutschen doch eher von Skepsis geprägt waren, beobachtend und abwartend, kamen die westdeutschen Kollegen mit raumgreifender Dynamik daher, sehr bestimmend und siegesgewiss. Ich kann mich noch an den Spruch eines Vorstandes erinnern, der sagte: ›Na ja, in einem halben Jahr haben wir die ganze Sache hier im Griff.‹«
    Mehrere Vorstände aus dem Westen konnte Rohwedder inzwischen zur Treuhand locken, darunter einen Manager von Daimler-Benz und einen bayerischen Spitzenbeamten aus dem Wirtschaftsministerium, Klaus-Peter Wild. Der Franke Wild soll der neue Chef von Detlef Scheunert werden.
    Wild und Rohwedder kennen sich aus der Stahlbranche. Ende der achtziger Jahre hat Wild die »Maxhütte« in der Oberpfalz saniert, die in Konkurs gegangen war. Er bot das Stahlwerk damals dem Hoesch-Konzern und damit Rohwedder an. Der wollte mit der maroden »Maxhütte« zwar nichts zu tun haben, behielt aber Wild in Erinnerung, der ihn mit seiner peniblen, nüchternen und hartnäckigen Art beeindruckt hatte.
    Als Wild im Sommer von einer Reise mit dem bayerischen Wirtschaftsminister
aus der DDR zurückkommt, erwartet ihn seine Frau mit einer dringenden Nachricht: Ein Herr Rohwedder habe angerufen. Er solle sich melden, sofort, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wild ruft in Berlin an, Rohwedder sagt ohne Umschweife: »Kommen Sie zu mir, ich brauche dringend Leute, Ihr Ticket für den Flug um 7 Uhr 10 am nächsten Tag ist schon gebucht, wir können uns dann um 9 Uhr im ›Grand Hotel‹ an der Friedrichstraße treffen.« Widerstand zwecklos. Da sich Wild auf seinem Posten als bayerischer Beamter allmählich langweilt und ihn die Herausforderungen der deutschen Einheit reizen, fliegt er am nächsten Morgen nach Berlin. Nun gehört er zum Treuhandvorstand und verdient ein Vielfaches von dem, was er als Beamter in München nach Hause brachte.
    Wild lernt Detelf Scheunert kennen, als dieser noch für das Wirtschaftsministerium in der Volkskammer arbeitet. Die beiden sprechen über Sachsen, Scheunerts Heimat. Der Bruder von Wilds Großmutter stammt aus der Gegend, Wild kennt die Ecke gut, er weiß von dem fruchtbaren Lössboden dort. Scheunert wird der Vorstandsassistent von Wild. Er ist der einzige Ostdeutsche, der direkt im achten Stock, wo die Vorstände ihre Büros haben, arbeiten darf. An seinem zweiten Tag in der Treuhand ist er gleich bei einem großen Treffen dabei. Eine japanische Delegation hat sich angekündigt: Die Investmentbank Nomura möchte über Investitionen in der DDR reden.
    Scheunert sagt zu seinem neuen Vorstand: »Wie soll ich Ihnen hier helfen, ich kann kein Englisch.«
    »Egal«, sagt Wild, »studieren Sie die Gesichter der Menschen, die Ihnen gegenübersitzen.« Scheunert, der zum ersten Mal Kontakt mit ausländischen Investoren hat, macht genau das und erkennt – nichts. Ein gutes Dutzend Nomura-Delegierte

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