Der Diamant im Bauch der Kobra
Ulrich Mortibodi saß auf dem kleinen Balkon
an der Schmalseite seines Hauses und horchte wie der Regen, der gerade
aufgehört hatte, von den Blättern der Bäume tropfte.
In der Diele hatte er eine
Notiz von Volker vorgefunden, Volker Wiegand, seinem Freund.
Willkommen zu Hause! Guck nach
im Kühlraum! - Volker
Klar, Volker war schon seit zwei
Wochen aus Afrika zurück und hatte, wie geplant, die sterblichen Überreste
zweier Berggorillas mitgebracht. Unter seiner, Mortibodis, fachkundiger Hand
würden die in neuer Gestalt erstehen: so lebensecht als träten sie gerade aus
dem Schatten tropischer Bäume hervor. Meisterwerke sollten es werden — das
Stück für 300 000 DM. Da durfte der Kunde was erwarten. Zusätzlich erhielt der
von ihm und von Volker die Versicherung, dass die Wahrheit über den Abschuss
des ,Silberrücken‘ ganz in der Hand des Kunden liege. Denn der — und auch der
zweite Abnehmer — waren lächerliche Sonntagsjäger. Mit Trophäen wie diesen —
der eine hatte bereits einen Sibirischen Tiger erstanden, der andere ein
Krokodil und einen Jaguar — polierten sie an ihrem Ansehen herum, hätten am
liebsten noch mit abgestochenen Kampfstieren aus der Arena geprotzt. Freilich —
den Torero würde ihnen niemand abnehmen, aber der Tiermord mit großkalibrigem
Präzisionsgewehr — das war denkbar.
Mortibodi grinste, trank von
seinem Bier und dachte darüber nach, wie gut sich doch aus der Eitelkeit der
Menschen und aus deren Geltungssucht Geld und Gewinn schlagen ließ. Gibt es
doch so viele, die es zwar zu Geld gebracht haben, aber nicht zu Ansehen. Die
sind dann allemal Opfer, denn sie kaufen akademische Titel, gefälschte
Stammbäume und — sichtbare Beweise ihres vermeintlichen Muts, ihrer Kraft,
ihrer Abenteuerlust, ihrer Männlichkeit. Gefährliche Raubtiere erlegen — was
für eine Feder am Hut des kläglichen Angebers!
Mortibodi stand auf, um sich
noch ein Bier zu holen.
Er war 44, unverheiratet und
hatte nur selten eine Freundin gehabt. Seine Arbeit missfiel ihnen. Der Geruch
hing ihm an. Und seine Einstellung zum Tier. Da musste eine Frau schon sehr
abgebrüht sein, um einen Typ wie Mortibodi in Kauf zu nehmen.
Er machte äußerlich wenig her.
Knapp mittelgroß, dicklich, wenig Haare, Brille mit dicken Gläsern vor den
blassblauen Augen. Er leckte sich häufig die Lippen und hatte sich ein
übertriebenes Naserümpfen angewöhnt — aber nur, um die rutschende Brille auf seinem
Gesichtserker hochzuschieben. Das sah unglaublich blöd aus. Eigentlich wollte
er sich’s abgewöhnen, aber die Geste war eingefleischt.
Das Telefon klingelte.
Vermutlich Volker.
„Ja?!“ Mortibodi meldete sich
nie anders.
„Dort bei Mortibodi?“
Es war nicht Volker, sondern
eine Stimme, die wie Stockschnupfen klang. Hielt sich der Anrufer die Nase zu?
Oder sprach er durch einen Verzerrer?
„Ja, richtig.“
„Sind Sie’s selbst?“
„Bin’s selbst. Wer spricht
dort?“
„Hähäh! Das werde ich dir nicht
sagen, Mann!“
„Soll ich auflegen?“
„Wenn dir die Polizei lieber
ist, Mann?“
Mortibodi leckte sich die
Lippen und schob naserümpfend die Brille hoch.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
„Warst du schon in deinem
Kühlraum?“
„Was?“ Ruhig bleiben!, befahl
er sich.
„Ob du schon in deinem Kühlraum
warst, Mortibodi?“
„Was... äh... wissen Sie von
meinem Kühlraum?“
„Alles. Ich bin Einbrecher. Vor
zwei Wochen war ich in deinem Haus. In deiner Werkstatt. Und im Kühlraum.“
„Ja und?“
„Du denkst jetzt sicherlich:
Wenn der mir an den Karren fahren will, lasse ich alles, was im Kühlraum ist,
kurzerhand verschwinden. Dann kann mir keiner was wollen. Das denkst du doch,
nicht wahr?“
„Ich denke überhaupt nichts.
Ich höre nur zu.“
„Aber gleich wirst du ins
Grübeln kommen, Mortibodi. Denn ich habe die Unterlagen aus deinem Aktenschrank
mitgenommen.“
Der Präparator schnappte nach
Luft. O verdammt! Die Kundenkartei, die Listen, die handschriftlichen
Eintragungen: über die Präparate von ausnahmslos streng geschützten Raubtieren und
ebensolchem Großwild, über die Phantasie-Preise, die dafür gezahlt worden waren
— von den Kunden, den Abnehmern, den mega-reichen geltungssüchtigen Spinnern.
Dieser Kundenstamm war die Grundlage seiner — Mortibodis — Existenz. Und Volker
hing genauso davon ab. Denn Kunden wie diese — reich, verrückt, großkotzig,
waidmännisch — findet man nicht per Zeitungsinserat. „Ähhh... ja“,
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