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Der dicke Löwe kommt zuletzt

Der dicke Löwe kommt zuletzt

Titel: Der dicke Löwe kommt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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Dann konnte er die Augen für einen längeren Zeitraum öffnen. Er fühlte sich leer, zerschlagen. Jeder Muskel, jeder Knochen schmerzte. Warum war er nicht ertrunken? So oder so war es aus mit ihm. Mußte er schon elend umkommen, wäre er besser gar nicht mehr erwacht.
    Der Schotter, auf dem er lag, war feucht. Die Steine glänzten matt. Entfernt am Himmel leuchtete ein hellgrauer Streifen.
    Löwe machte die Augen wieder zu. Schlafen, nur schlafen!
    Doch — knirschte da nicht der Kies? Vorsichtige Schritte schlichen sich an. Löwe vermochte den Kopf nicht zu bewegen. Ein Eingeborener wird es sein, dachte er dumpf, er kennt mich nicht, eine leichte Beute bin ich, er wird mir seinen Speer ins Herz bohren.
    Der Feind war geschickt. Er kam gegen den Wind, von hinten. Immer wieder blieb er stehen, vergewisserte sich, daß Löwe nicht plötzlich aufsprang und ihn anfiel. Dann erst ging er wieder einen Schritt. Jetzt war er nah, ganz nah hinter ihm, Löwe spürte seinen Atem; gleich stößt er zu, dachte er, gleich ist es zu Ende!

Träume

    Der Sultan und das Kamel lagen in der Höhle des Berges. Sie schliefen. Es war dunkel. Nur an der Gewölbedecke glühten farbige Lämpchen.
    An den mit Steinen durchsetzten Wänden hingen Masken von Dämonen. Totenköpfe schimmerten bleich. Überkreuzte Speere und Schilde primitiver Volksstämme bildeten da und dort einen düsteren Schmuck.
    Der Boden war uneben, hatte kleine Hügel und Mulden. Und überall lagen Wesen, die schliefen. Andere wieder saßen mit schwankenden Oberkörpern da und dösten halbgeschlossenen Auges vor sich hin. Fast alle waren nur in Fetzen zerrissener Säcke gekleidet, manchmal auch in bunte Tücher. Bei dem einen war die Brust nackt, bei dem anderen waren Arme und Schultern entblößt, Hosen gab es nicht. Waren es Jungen oder Mädchen, Männer oder Frauen?
    Allen hingen die langen Haare wirr über Stirn und Schultern.
    Sie wirkten fast wie Tote. Sie rührten sich kaum. Befanden sie sich in einer anderen Welt? Sie hatten den abwesenden, ein wenig blöden Gesichtsausdruck von Träumern — aber diese Schläfer waren unheimlich anzusehen.
    In der Mitte glühten zerfallene Scheite eines Holzfeuers. Und die feuchte Luft war erfüllt von einem eigenartigen süßlichen Duft, der in bläulichen Schwaden durch den Raum zog.
    Der Sultan und das Kamel lagen in einer Ecke. Sie träumten Wunderbares, jeder sein eigenes Märchen. In ihren Köpfen glühten Bilder, sie zogen vorbei wie bunte Schleier, die aufstiegen und niedersanken, sich öffneten und Ausblicke freigaben in paradiesisch erscheinende Gärten.
    Das Kamel flog durch die Luft, die Wolken stiegen mit ihm auf und weiteten sich, immer größer und lichter wurden die Räume, die es durchschwebte, und es spürte nicht die geringste Angst, es war so frei und unbeschwert wie ein Vogel, ja wahrhaftig, es begann zu singen, zu zwitschern und zu trällern. Es flatterte mit seinen Hufen wie mit Flügeln, und plötzlich kamen hinter den Wolken, die sich in wunderbare Gebirge aus Edelsteinen verwandelten, freundliche Geschöpfe hervor, Kamele mit Engelsflügeln!

    Sie sangen mit ihm und streichelten es und bedienten es, sie lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab, rieben ihm die Schulterblätter und kraulten es hinter den Ohren. Schließlich führten sie es auf eine schattige Weide unter Palmen, wo ein weiches Lager bereitet war, und hier brauste prächtige Musik orgelartig, während ein Wasserfall aus Farben von nie gesehener Pracht herniederzugehen schien, ein Lichtfall eher, Fontänen aus leuchtender Luft. Es war wundervoll! Und am herrlichsten war ein weißes Kamel, so schön, wie es noch nie eines gesehen hatte, das vor ihm in die Knie ging, ihm sehnsüchtig in die Augen blickte und hauchte: »Ich liebe dich!«
    Der Sultan dagegen bestand Abenteuer, neben denen die seines wirklichen Lebens verblaßten. Er besiegte Riesen und Dämonen, er eroberte spielend die Erde, er war mächtiger als der größte Kaiser und reicher als der reichste Mann. Was auch immer er anfaßte, es gelang! Und immer wurde er belohnt durch Gesang und Spiele wunderschöner Mädchen, denen er von seidenen Polstern aus zusah. Sie überschütteten ihn mit duftenden Blumen und bewirteten ihn mit köstlichen Gerichten. Dabei fühlte er sich, als ob er die weitesten Entfernungen überbrücken, unermeßliche Räume durcheilen könnte: Nicht mehr die Erde, das ganze Weltall war sein Zuhause, und auf welchem Stern er immer verweilen wollte — jeder

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