Der dicke Löwe kommt zuletzt
Scheich zu bitten, daß er uns wieder auf die wunderbare Reise schickt?« fragte das Kamel ungeduldig.
»Ja, ich gehe!« sagte der Sultan entschlossen. Aber er wollte etwas anderes erreichen. Allah sei Dank, dachte er, daß mir Miriam gerade noch im rechten Augenblick begegnet ist! Morgen schon wäre es zu spät gewesen.
Er stand auf. Es fiel ihm schwer. Er mußte ein Schwindelgefühl bekämpfen. Dann schleppte er sich auf einen schmalen Lichtstreifen zu. Hier mochte der Höhleneingang sein.
Er schlug die Vorhänge zurück. Zwei Speerspitzen richteten sich jäh gegen seine Brust. Die Wächter des Scheichs drohten: »Zurück!«
Er stand in dem Vorzeit, welches das Hauptzelt des Scheichs von der Höhle trennte. Hier hausten die Wächter. Der Sultan packte die Speere und rief: »Scheich! Ich will mit dir sprechen!«
Der Scheich trat am anderen Ende aus seinem Zelt. Er gab den Wächtern ein Zeichen. Zum Sultan sagte er: »Ich habe dich erwartet! Komm herein!«
Ein Handel
Der Sultan ging in das Zelt des Scheichs. Der süßliche Duft ekelte ihn. Er durchschritt es rasch und trat auf der anderen Seite ins Freie.
Der Abend brach ein. Das Meer sah aus wie Tinte.
»Ich will in frischer Luft mit dir sprechen!« sagte der Sultan.
Der Scheich lächelte hintergründig. »Wie du es wünschst!« Mit seinen dunklen Augen schaute er den Sultan durchdringend an. Sie leuchteten aus einem Gesicht, das hinter wildwuchernden Haaren verborgen war.
Die beiden Männer maßen sich schweigend. Es war wie ein Duell mit Blicken. Schließlich fragte der Scheich: »Was wünschest du also, Sultan?«
»Mit dir handeln! Ich schlage dir ein Geschäft vor: Ich gebe dir Geld, viel Geld, Gold und Edelsteine! Und du läßt dafür Miriam, das Kamel und mich noch heute die Insel verlassen!«
»Aber will sie es denn?«
»Sie will es, sie hat nur nicht mehr die Stärke, es selbst zu verwirklichen. Du mußt ihr den Rauch verweigern, nie mehr darf die Blaue Wolke sie umhüllen!«
»Und du hast diese Kraft für euch drei? Weißt du auch, daß sie, wenn ich euch gehen lasse, immer wieder hierher zurückverlangen wird? Immer wieder wird sie sich danach sehnen, das schale Dasein zu verlassen und in die Wunderwelt der Träume heimzukehren!«
»Es sind Scheinwunder, die sie langsam töten!«
»Wir sterben während des ganzen Lebens. Ist es nicht besser, von Wundern getötet zu werden als von Fron und Qual?« Immer fester hielten die dämonischen Blicke des Scheichs den Sultan.
Lange, eine kleine Ewigkeit standen sie so. Dann aber sagte der Scheich, als habe er sich überwunden, als sei er in die Wirklichkeit zurückgekehrt: »Nun gut — versucht es! Geht!«
Der Sultan murmelte: »Ich danke dir!«
Der Scheich nickte. »Du hast nur eine winzige Bedingung zu erfüllen! In diesem Moment verlange ich nichts von dir. Jedoch — setze mich als deinen Erben ein! Vermache mir dein Sultanat!«
Der Sultan trat erschrocken einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hand. Aber der Blick des Scheichs ließ ihn nicht los. Es war ein Ringen um Leben und Tod. Ein Gedanke keimte im Sultan: Mußte er eine solche Abmachung einhalten? Befand er sich nicht in einer Zwangslage? Wie, wenn er auf diese Weise zunächst ihre Freiheit erkaufte und später die Insel eroberte und den
Scheich gefangennahm? War er nicht immer noch der Sultan, hatte er nicht eine Leibwache und Freunde? Stand ihm nicht auch der Emir zur Seite?
»Ich bin bereit!« sagte er.
»So komm ins Zelt! Ich werde das Testament aufsetzen! Komm, du hast nichts zu befürchten!« versprach der Scheich.
Und die beiden Männer gingen hinein.
Es war nun ganz dunkel geworden. Nur die Kerzen in den Ampeln brannten.
Das Testament
Der Sultan ließ sich auf einem Teppich am Tisch nieder. Der Scheich trat in eine Ecke seiner Behausung. Er nahm Schreibzeug, Papier und Feder aus einer Truhe. Die Feder kratzte emsig über das Pergament, als er schrieb.
Den Sultan erfaßte ein tiefes Glücksgefühl. Bald waren sie frei. Nur noch wenige Minuten, und dann fuhren sie zu dritt im frischen Wind des Meeres heim nach Sultanien.
Ohne daß er es spürte, verwirrten sich des Sultans Sinne.
Und der Scheich begann leise zu reden. »Dir, o Sultan, der du mich bald verläßt, der du nicht zu den Meinen gehören willst, werde ich mein Geheimnis verraten. — Kennst du die Geschichte der Assassinen?«
Der Sultan nickte.
»Vor vielen hundert Jahren ließ ihr teuflisch grausamer Fürst südlich des Kaspischen Meeres ein
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