Der dicke Löwe kommt zuletzt
beglückte ihn mit noch größeren Wundern.
Konnte es den beiden eigentlich noch besser gehen? — Nur, daß sie auf feuchtem Boden lagen und giftige Dämpfe atmeten, die ihre Kehlen ausdörrten und ihr Blut erhitzten.
Langsam, sehr langsam verflog der Rausch. Zuerst kehrte der Sultan in die Wirklichkeit zurück. Die Wände schwankten. Sein Kopf war schwer, seine Augen brannten. Wie lange hatte er hier gelegen? Wo befand er sich, was war überhaupt mit ihm geschehen? Er versuchte sich aufzusetzen — alles drehte sich, er sank zurück. Wieder schloß er die Augen. Ihm war übel, so übel. Er vermeinte zu sterben.
So lag er Stunden bewegungslos. Bis er die brüchige, matte Stimme des Kamels neben sich hauchen hörte:
»Oh, Sultan, mit mir ist es gleich aus. Aber ich war zuvor im Himmel!«
»Mir geht es wie dir!« murmelte der Sultan. »Nie habe ich mich herrlicher befunden als vorhin und nie übler als jetzt!«
Als sie ein wenig zur Vernunft gekommen waren, blickten sie sich verwirrt an. Das Kamel lag da, den sonst so hochmütigen Hals auf dem Boden. Es hatte tiefe Ringe unter den Augen. »O Allah«, murmelte es, »wo ist mein weißer Prinz?«
»In den Wolken, wo auch meine Blumenmädchen sind!«
»Ich will dorthin zurück!« jammerte das Kamel. »Hier kann ich nicht mehr leben — mir ist sterbensübel. Diese Welt ist grausam. Laß uns wieder hinauffliegen in die himmlischen Gefilde!«
»Nur allzugern. Aber wie?«
»Die Blaue Wolke!« flüsterte das Kamel. »Erinnerst du dich? Die Blaue Wolke trägt uns wieder ins Paradies. Der Scheich — der Scheich kann uns helfen, er hat den Stoff, das Wundermittel, das unsere Körper leicht macht und aufsteigen läßt...«
»Du hast recht«, flüsterte der Sultan. »Ich werde zu ihm gehen und ihn bitten, uns den Himmel wieder zu öffnen!«
»O ja!« bat das Kamel. »Geh jetzt, geh gleich, damit mir wieder wohler wird, gib ihm alles, was du hast, gib ihm deinen Palast, dein Gold, deine Edelsteine, dein Sultanat...«
»Sofort!« Der Sultan versuchte sich aufzurichten.
Seltsam — er fühlte sich hilfreich im Rücken unterstützt, jemand legte ihm den Arm um die Schulter. Er spürte den Rand eines Bechers an seinen Lippen.
»Trink«, ermunterte ihn eine weiche Stimme, »trink, es wird dir guttun.«
Miriam
Jetzt merkte der Sultan, wie durstig er war. Wohltuend rann kühles, klares Wasser durch seine Kehle. Er trank den Becher leer. Nun sah er zu dem freundlichen Wesen auf. Es war ein Mädchen mit aufgelösten schwarzen Haaren. Ihr Kleid bestand aus einem Sack, der oben in der Mitte und an zwei Ecken aufgeschlitzt war, um Öffnungen für den Kopf und die nackten Arme zu schaffen. Ein Strick hielt das armselige Gewand in der Mitte zusammen.
Krank und verwüstet wirkte ihr Gesicht. Und doch mußte es einmal wunderschön gewesen sein, ehe der Verfall seine Spuren eingegraben hatte.
»Wer bist du?« fragte er.
»Frage mich nicht. Früher einmal hieß ich Miriam...«
»Miriam?« Ein Blitz erhellte sein Bewußtsein. Aber es warnte ihn auch, sein Geheimnis zu verraten.
Sie schien sein Stutzen nicht zu bemerken. Sie wandte sich dem Kamel zu, um es zu tränken. Dabei sprach sie weiter zum Sultan: »Vergiß meinen Namen, der mich an mein Unglück erinnert. Früher einmal war ich die Tochter eines mächtigen und liebevollen Vaters. Ich konnte haben, was ich wollte. Aber es war mir nicht genug. Mein Leben erschien mir sinnlos. Ich hörte von dieser Insel und kam hierher! — Sieh, was aus mir geworden ist, eine Kranke, die nur noch kurze Zeit zu leben hat!«
»Flieh mit mir!« rief er und ergriff ihre Hand.
Sie lachte bitter auf. »Fliehen? Keiner entkommt. Keiner, der einmal in der Blauen Wolke schwebte, kann sich lösen! Wir sind hungrig nach dem wunderbaren Rauch, der uns scheinbar erlöst von unserer Jämmerlichkeit und uns doch nur noch tiefer hineinstößt. Fliehen? Nein, es ist unmöglich! Ich bin verdammt, hier zugrunde zu gehen. Aber ihr seid noch nicht lange hier, ihr habt erst einmal das süße Gift gekostet, ihr seid noch zu retten! Nehmt es nicht ein zweites Mal! Widersteht der Versuchung! Verlaßt die Insel!«
»Nur mit dir!« sagte der Sultan bestimmt.
»Du Armer! Vergiß mich, vergiß mich rasch! Ich will nicht dein Verderben sein!« Sie sprang auf und lief davon. Sie schwankte leicht.
»Miriam, Miriam...«, rief der Sultan hinter ihr her. Umsonst. Sie drehte sich nicht um. Und verschwand im Dunkel des Hintergrundes.
»Gehst du jetzt endlich, um den
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