Der dicke Löwe kommt zuletzt
Schloß bauen. Es hatte bezaubernde Gärten. Kleine, mit Seide und Teppichen geschmückte Pavillons standen darin - und Bäche von Wein, Milch und Honig flössen dort. Der Alte vom Berge, wie sich der Führer der Assassinen nannte, wählte unter den Jünglingen des Landes die stärksten und kühnsten aus. Er erzählte ihnen vom Paradies und von der Herrlichkeit des Lebens nach dem Tode.
Dann bewirtete er sie mit einschläfernden, berauschenden Getränken. Hatten sie das Bewußtsein verloren, wurden sie in die Pavillons seiner Gärten versetzt. Erwachten sie dort, wurden sie von schönen Mädchen bedient, die sangen und spielten und ihnen köstliche Speisen vorsetzten. Wenn aber die jungen Männer dieses Glück kurze Zeit genossen hatten, wurden sie wieder eingeschläfert und in die Wirklichkeit zurückgebracht. Nun glaubten sie, wahrhaftig im Paradies gewesen zu sein, und um wieder dorthin zu gelangen, raubten, mordeten und plünderten sie auf Befehl des Alten vom Berge, sie achteten keiner Gefahr, ja, sie drängten danach, zu sterben. So gelangte der Alte vom Berge in den Ruf, göttliche Macht zu besitzen.«
Je länger der Scheich erzählte, desto heftiger klopfte des Sultans Herz. Er fühlte die große, dunkle Gefahr. Er fragte mit schwerer Zunge: »Und du willst dem Alten vom Berge gleichen?«
»Ein echtes Schloß habe ich nicht. Meine Traumschlösser aber sind mindestens so wunderbar und dem Paradiese ähnlich wie das seine. Deshalb wird die Zahl derer, die zu mir kommen, von Tag zu Tag größer. Doch nur die Jungen taugen zu meinem Dienst. Ich mache sie zu meinen willenlosen Werkzeugen. Und eines Tages werden sie ausziehen und die Welt für mich erobern. Ich werde die Städte in Asche legen und die Dörfer verwüsten. Ich werde die Herrschenden stürzen und die Armen zu meinen Knechten machen...«
Aber ich werde es verhindern, dachte der Sultan. Sein Wunsch, die Insel zu verlassen, war niemals mächtiger als in diesem Augenblick. Jedes Mittel schien ihm gerechtfertigt. Blind ergriff er deshalb die Feder, die ihm der Scheich reichte und Unterzeichnete das Pergament, das keine Bedeutung haben sollte.
Der Scheich betrachtete die Schriftzüge triumphierend. »Nun hast du dein Testament gemacht, und ich bin dein Erbe! Nach dir werde ich Sultan sein! Und alles, was du auf dieser Erde noch tun kannst, ist — sterben!«
Der Sultan wollte aufspringen, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Der Scheich klatschte in die Hände, die Wächter stürmten ins Zelt — ein harter Schlag auf den Kopf betäubte den Sultan, er sank zusammen, die hünenhaften Kerle fesselten ihn und schleppten ihn in die verlassene Festung, wo sie ihn in einer winzigen Zelle in Ketten legten. Die schwere Tür schloß sich fest.
Sorgsam faltete der Scheich das Testament des Sultans zusammen. Er verbarg es in seiner Truhe.
Da er sicher war, ganz allein zu sein, schlug er einen Teppich zur Seite und öffnete eine darunter im Boden eingelassene Falltür. Er stieg in ein Gewölbe hinab, das früher einmal zu der Seeräuberfestung gehört hatte. In diesem finsteren Keller, der von keiner Lampe erhellt wurde, bewahrte er das Zaubermittel auf, das ihm Gewalt über die Menschen gab. Kisten und kleine Säcke wurden geisterhaft vom flackernden Licht seiner Kerze beleuchtet. Er nahm eine Handvoll tabakähnlichen Krautes und ein Bündel Zigaretten, tat beides in einen Beutel und stieg wieder in sein Zelt empor, das er rasch in seinen früheren Zustand versetzte. Niemand kannte sein Geheimnis.
Dann ergriff er eine Gitarre, die über seiner Liegestätte hing und betrat die Berghöhle, wo ihn bereits seine Gefangenen — die Gefangenen ihrer Träume — erwarteten. Sie waren süchtig danach, von der Wirklichkeit erlöst zu werden durch immer neue Träume. Und sie wären für den Scheich in den Tod gegangen, um dieses trügerische Glück zu genießen.
Die Macht des Scheichs
In dem Mädchen Miriam jedoch war eine Verwandlung vor sich gegangen. Je länger sie in der Berghöhle lebte, desto heftiger war ihr Wunsch geworden, sie zu verlassen. Nie vermochte sie aber den Zauberkräutern des Scheichs zu widerstehen. So ging es vielen.
Nun hatte das Elend des fremden Mannes, dessen Namen sie nicht kannte, sie tief gerührt, und sie hoffte, daß er dem Verderben entrinnen könnte. Jede Stunde, die er länger blieb — das wußte sie nur zu gut — , erschwerte dies. Deshalb floh sie vor ihm, als sie sah, wie er an ihrem Geschick Anteil nahm. Ihretwegen
Weitere Kostenlose Bücher