Der dicke Löwe kommt zuletzt
Ampeln qualmten wie immer — und doch war etwas anders... Die Zeit verstrich, immer spürbarer wurde es: Die alte Wirkung stellte sich nicht ein.
Die zerlumpten Geschöpfe wurden unruhig. Ihre Augen schweiften ab — der Zauberer vermochte sie nicht mehr mit seinen Blicken zu bannen. Sie blickten zu Boden, sogen heftig an den Pfeifen, pafften die Zigaretten... Doch nichts! — Das Rauschen des Blutes, das der betörenden Traumfahrt voranging, blieb aus.
Im Gegenteil — langsam wirkte das Gegengift! Immer nüchterner und klarer erkannten sie die erbärmliche Umgebung. Und auch ihn sahen sie so, wie er wirklich war. Ein häßlicher, grausamer Mensch hatte sie willenlos gemacht. Und gerade dieser Wille, den er ihnen genommen hatte, begann sich jetzt wieder in ihnen zu regen. Ein Hunger nach frischer Luft, nach freiem Himmel und Bewegung packte sie. Ihr Blick wurde klar!
Einer sprang auf, ein anderer tat es ihm nach — sie schleuderten dem Scheich die Pfeifen und Zigaretten ins Gesicht, sie stürzten sich auf ihn. Es erhoben sich alle.
Der Angriff kam so unerwartet, er konnte nicht fliehen. Sie warfen sich über ihn, schlugen auf ihn ein, zertrümmerten die Gitarre auf seinem Kopf, banden ihm die Hände auf den Rücken, schleiften ihn zur Wand und brüllten: »Aufhängen! Aufhängen!«
Abrechnung
Da wurde der Eingang zur Höhle der Träume weit aufgerissen, die frische Nachtluft strömte herein.
In der Öffnung stand der Sultan, eine brennende Fackel in der Hand, hinter ihm Dok, Kim und Pips. Wu sauste unter ihren Füßen durch und umsprang das Kamel mit freudigem Kläffen.
Und hoch oben in des Sultans Turban saß Ka — ein Held auf seinem Thron.
»Aufhören!« rief der Sultan.
Widerwillig ließen die erwachten Träumer den Scheich los.
Mit funkelnden Augen stand dieser an der Wand. Wild blickte er auf die Verwandelten, die sich gegen ihn erhoben hatten, wild schaute er aber auch den Sultan an, den er längst verhungert wähnte.
»Deine Macht ist zu Ende!« sagte der Sultan. »Auch sie war nur ein Traum — ein böser Traum! Du wirst nie der Alte vom Berge sein, Erbärmlicher! Du hättest den Tod wohl verdient! Jedoch ich schenke dir dein Leben. Hinaus mit dir. In fernen Ländern kannst du dir deinen Unterhalt durch Arbeit verdienen. Hierher wirst du nie zurückkehren. Deine Zauberkräuter vernichten wir, alles, was du deinen Opfern abgenommen hast, wird ihnen zurückgegeben. Deine Wächter haben wir gefesselt. Auch sie sind Verführte. Sie können sich in meiner Leibwache bewähren. So — und nun fort mit dir, Teufel in Menschengestalt! Fünf Minuten geben wir dir — bist du bis dahin nicht schon mit deinem Boot auf dem Meer, werden wir dich hier aufknüpfen!«
Alle schwiegen, sie schauten starr auf den Scheich. Der Sultan durchschnitt den Strick, mit dem er gefesselt war.
Noch zögerte der Scheich, als könne er alles nicht begreifen. Dann aber — von panischer Angst erfaßt — rannte er aus der Höhle, jagte den Hang hinunter, schob das Boot ins Wasser, sprang hinein und ergriff die Ruder. Die Furcht verlieh ihm Riesenkräfte.
Dunkel lag die Wasserfläche unter dem Himmel, nur vom Schimmer des Mondes erhellt. So dunkel und ungewiß war auch die Zukunft des Scheichs.
Man sah ihn ohne Bedauern scheiden.
Ein unfreiwilliger Zeuge
Dann versammelten sie sich vor dem Zelt — eine kleine Gruppe, in Lumpen, matt und ausgemergelt. Sie scharten sich um den Sultan. Er war ihre Mitte. Zu seiner Rechten stand Miriam, ihre Hand in seiner. Da fand sie Geborgenheit. Zu seiner Linken stand das Kamel — noch nicht ganz auf den Boden der Wirklichkeit zurückgekehrt. »Träume ich nun, oder warum fühle ich mich wie im Paradies?« murmelte es.
»Nein, du träumst nicht, altes Haus,
mit dem Träumen ist’s nun aus!«
krähte Ka aus dem Sultansturban.
Als das Ruderboot in der Finsternis verschwunden war, sagte der Sultan: »Und nun, meine Freunde, versenken wir alle Zauberkräuter ins Meer!«
»Oh, aber werden dann nicht die Fische träumen?« fragte Wu.
Der Sultan sah Dok fragend an. Doch dieser schüttelte den Kopf. »Im unendlichen Ozean vergehen sie wirkungslos!«
Da machten sich alle daran, das Verlies des Scheichs auszuräumen. Sie schleppten die Säcke zum Ufer, und bei ihrer Arbeit summten sie fröhlich.
Danach kamen sie im Zelt des Scheichs zusammen und aßen. Dok achtete darauf, daß niemand mehr bekam, als er nach so langer Hungerzeit vertragen konnte.
Er war besorgt um sie. Er hielt
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