Der Dieb der Finsternis
ungelösten Kunstdiebstähle der Moderne galt. Allein dieser Raum hatte einen Wert von über vierhundert Millionen Dollar.
»He«, rief Busch und tippte dabei auf seine Armbanduhr.
Michael schloss die Tür, und sie liefen den Korridor hinunter.
Iblis war ein Dieb, dem niemand das Wasser reichen konnte. Die Kunstgegenstände in diesem Keller mussten einen Gesamtwert von mehr als einer Milliarde Dollar haben, und er hatte beschlossen, kein einziges davon zu verkaufen. Er betrachtete sie als seine Trophäen – Erfolge, die er mit niemandem teilen konnte. Iblis war kein Prahler; er brauchte es nicht, dass man ihm gratulierte und anerkennend auf die Schulter klopfte.
Der Korridor führte an einem kleinen offenen Wohnbereich vorüber, in dem ein Sofa und zwei Stühle standen; er wurde beherrscht von einem einzelnen Gemälde, das von drei Kunstleuchten unter der Decke angestrahlt wurde. Das Gemälde aus dem siebzehnten Jahrhundert hing an der Rückwand des Raumes und war das Herzstück von Iblis’ Sammlung. Es stand außer Frage, dass er dieses Bild für seine allergrößte Errungenschaft hielt.
Als Michaels Blick auf das »Concerto de Oberion« fiel, ein Meisterwerk von Govier, löste sich die berufliche Bewunderung, die er gerade noch für Iblis empfunden hatte, ganz schnell auf.
Vier Menschen waren ums Leben gekommen bei dem Einbruch in das Museum in Berlin: zwei junge Doktoranden waren durch Kopfschüsse ermordet worden, und einer zwanzigjährigen Sekretärin hatte man die Kehle durchgeschnitten. Doch es war vor allem der grausame Tod des Museumsdirektors gewesen, der die Kunstwelt erschüttert hatte. Man hatte Hans Grunewald die Ohren abgeschnitten, die Haut vom Gesicht geschält und ihm Kalilauge in die Augen geschüttet – und das alles, als er noch am Leben gewesen war. Man hatte den Mann gefoltert, damit er die Sicherheitskombinationen des Museums verriet. Zehn Tage lang hatte er sich noch gequält, bis er starb, konnte sich aber nicht mehr an den Dieb erinnern.
Michael drehte sich der Magen um, als er sich vorstellte, wie Iblis das Govier-Gemälde zum ersten Mal hier aufgehängt hatte, wie er sich jedes Mal selbst applaudierte und gratulierte, wenn er vor diesem Kunstwerk saß, das er durch den Tod von vier unschuldigen Menschen an sich gebracht hatte.
Michael wandte sich angewidert ab. Was er als Nächstes erblickte, riss ihm beinahe das Herz aus der Brust. Er schaute auf einen Bücherschrank aus Mahagoni, der direkt neben dem Govier an der Wand stand. Der Schrank war voller Bücher und Erinnerungsstücke, Souvenirs und Fotografien. Es waren die Fotos, die Michael so verstörten – weit mehr noch, als der Govier es getan hatte, weit mehr als irgendetwas, was er sich hätte vorstellen können. Jedes Foto befand sich in einem Rahmen von Tiffany’s, und alle zeigten ein und denselben Menschen in seiner Teenagerzeit und in den frühen Zwanzigern. Das neueste Bild schien erst wenige Tage alt zu sein, denn es war heimlich hier in Istanbul aufgenommen worden, auf dem Gelände des Topkapi-Palasts. Die Person, die fotografiert worden war, hatte nichts davon bemerkt. Jedes Foto war mit akribischer Hingabe gerahmt und mit Liebe aufgestellt worden, ganz so, als sei die abgebildete Person das kostbarste Stück in Iblis’ Sammlung. Es gab nicht den geringsten Zweifel an den Gefühlen, die Iblis für diesen Menschen hegte. Wahrscheinlich schaute er sich die Fotos jede Nacht an, blickte gebannt in die grünen Augen und auf das lange blonde Haar.
Für Michael stand fest, dass Iblis KC liebte.
Ohne nur noch eine Sekunde länger nachzudenken, trat Michael aus dem Wohnbereich heraus und ging zum Ende des Korridors, wo Busch stand und ihn anstarrte.
»Hast du da hinten ein Gespenst gesehen?«, fragte Busch.
»Lass uns beten, dass Cindy und Simon hier unten sind, damit wir aus dieser Hölle rauskommen.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass ich die beiden gefunden habe«, sagte Busch und trat zur Seite, wodurch eine weitere Tresortür sichtbar wurde. Sie hatte ein normales Kombinationsschloss. Der gebürstete Stahl wirkte durch die warmen dunklen Holzwände und die persischen Teppiche noch kälter und härter. Für diesen Tresor wurden keine Computer gebraucht; hier verließ man sich nicht auf moderne Elektronik. Die Tür war eine Sands-Meanne, eine altmodische mechanische Tür, die aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts stammte.
Michael schlug gegen den Stahl, so fest er konnte.
Er wartete einen Moment und
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