Der Dieb der Finsternis
auf sich wirken. Michael verstand Simons Ängste und Nöte, er verstand sein Bestreben, die Kirche zu schützen – aber wo die Bedrohung liegen sollte, konnte er nicht erfassen. Was ihn am meisten beschäftigte und eine wachsende Furcht in ihm hervorrief, war der Gedanke an KCs Schicksal, die derzeit ans andere Ende der Welt verschleppt wurde.
»Es gibt da noch etwas, Michael, was du über Venue wissen musst. In den Tagen, in denen ich von Iblis gefangen gehalten wurde, habe ich mitbekommen, wie er Cindy ein Geheimnis anvertraut hat, das sogar die Geheimnisse der Karte verblassen ließ, zumindest in ihren Augen.« Simon hielt einen Moment inne. »Venue ist der Vater von KC und Cindy.«
Michael spürte, wie sein Inneres sich verkrampfte.
»Und das weiß sie?«, fragte er schließlich.
Simon schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat keine Ahnung, und auch ich wusste nichts davon. Aber wenn du auf das Gesamtbild schaust, leuchtet es ein: Iblis ist derjenige, der das Ganze zusammenhält. Er war nicht nur KCs Lehrmeister, ausgesandt von ihrem Vater, als sie jung war, er war auch der Beschützer der Mädchen, der jeden zum Schweigen brachte, der eine Gefahr für sie darstellte.«
»KC hat das alles nicht gewusst?«, fragte Busch, als ihm der Ernst dieser Eröffnung bewusst wurde.
»Ich schätze, dass sie es jetzt erfahren wird. Stell dir vor, was ihr das antun wird. Vergiss nicht, Venue hat sie schon einmal in den Tod geschickt, obwohl er wusste, dass sie seine Tochter ist. Ich habe keine Ahnung, wie sie reagiert, wenn sie die Wahrheit erfährt, dass er der Mann ist, der ihre Mutter das Hassen gelehrt hat, der Mann, von dem sie geglaubt hat, sie habe gesehen, wie er beerdigt wurde.«
»Wohin fliegen sie?«, fragte Michael, und seine Stimme klang drängend.
»Nach Indien, Darjeeling. Dann werden sie sich entweder einen Hubschrauber oder einen Geländewagen besorgen, um die vierzig Kilometer bis zum Berg zurückzulegen.«
Michael blickte Busch an. Zu sagen brauchte er nichts.
»Scheiße«, meinte Busch. »Ich ruf schon mal an, dass sie das Flugzeug startklar machen. Stechen wir eine weitere Heftzwecke in meine Weltkarte.«
»Ich komme mit euch«, erklärte Simon, obwohl er wusste, dass das in seinem Zustand kaum möglich war.
»Ich wünschte, du könntest es«, sagte Michael.
»Ja«, fügte Busch hinzu. »Dann hätte ich wenigstens einen, mit dem ich saufen könnte.«
»Michael«, drängte Simon. »Die Tür zu der Welt unter Shambhala darf unter keinen Umständen geöffnet werden! Ich fürchte, dass sich Wahnsinn dahinter verbirgt, das Böse in seiner finstersten Form. In den Händen von Leuten wie Venue oder Iblis …«
Simon brauchte nicht weiterzureden. Michael hatte seine Warnung verstanden.
39.
M ichael und Busch saßen in der Limousine und waren noch etwa vier Kilometer vom Flughafen Istanbul-Atatürk entfernt. Sie waren gleich vom Krankenhaus aus losgefahren und hatten darauf verzichtet, vorher noch einmal ins Hotel zu gehen, weil sich dort nichts mehr befand, was irgendeinen wirklichen Wert hatte. Ein Teil von Michaels Ausrüstung war im Kofferraum des Wagens verstaut, der andere Teil war ohnehin im Flugzeug versteckt. Den entscheidenden Anruf hatte Busch bereits getätigt; der Jet wurde derzeit startklar gemacht, sodass sie sich in einer knappen Stunde auf den Weg machen konnten.
Busch saß am Steuer. Michael klemmte das Navigationsgerät soeben in die dafür vorgesehene Vorrichtung am Armaturenbrett. Der Bildschirm zeigte eine Landkarte, die vom Osten der Türkei bis nach Indien reichte. Über dem Kaspischen Meer trieben zwei kleine rote Punkte.
»Michael, da werden zwei Signale von diesem Flugzeug ausgesendet, das nach Indien fliegt. Aber wenn die das Original der Karte haben und den Stab, was habe ich dann im Jet deines Vaters in den Safe gelegt?«
»Das war …«
Michaels Mobiltelefon läutete. Er schaute auf das Display, sah, dass es KC war, und klappte das Telefon auf. »Gott sei Dank.« Michael stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Wo bist du?«
»Gott hat mit dem hier nichts zu tun.« Der Mann hatte eine ausgesprochen tiefe und kräftige Stimme und sprach mit leichtem britischem Akzent. »Wie ich gehört habe, lieben Sie meine Tochter.«
Philippe Venue! Schlagartig war Michael hellwach.
»Falls ich aus irgendeinem Grund nicht ankommen sollte, wo ich ankommen will, oder falls ich aus irgendeinem Grund mein Ziel nicht erreiche, werde ich sie töten. Da ich ihr Vater bin, ist das mein
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