Der Dieb der Finsternis
wieder und ging zurück zur Werkbank.
Michael öffnete den Kasten, löste die Gummiform und zog das Harzduplikat heraus. Es war dunkelbraun; von der Farbe her sah es haargenau so aus wie das Original. Michael drehte es in seiner Hand und lächelte: Das schnell trocknende Harz war ebenso stabil wie Metall.
Michael band die zwei Hälften der Gießform wieder zusammen. Er drückte weiteres Harz in den Kopfteil der Form und ging zurück zur Werkbank. Dort machte er sich daran, das Duplikat abzuschleifen, die scharfen Kanten zu beseitigen. Mit dem Handschleifgerät entfernte Michael die Erhöhungen, die den Stellen entsprachen, an denen das Original mit den Juwelen besetzt war. An den Augen schliff er so lange, bis sie nur noch Löcher waren; die Reißzähne schliff er messerscharf. Dann nahm er einen Bohrer und versah die Form auf ihrer gesamten Länge mit zehn Löchern.
Mit geschickter Hand bemalte Michael die Schlangenkörper, bis sie ungefähr so aussahen wie die beiden Schlangen, die sich am Original an der Stange emporwanden. Dabei setzte er die Farbakzente so, dass die Schlangenkörper sich von der Stange abhoben, um die sie sich wanden. Er war nicht so sehr darauf bedacht, ein exaktes Duplikat herzustellen, als vielmehr ein authentisches Kunstwerk, das für einen Moment keinen Verdacht aufkommen ließ.
Aus dem Samtbeutel zog Michael zwei kunstvoll gearbeitete Halsketten, beide mit kostbaren Edelsteinen besetzt. Diese Beutestücke, die aus einem Einbruch stammten, der viele Jahre zurücklag, konnten jetzt endlich nutzbringend zum Einsatz gebracht werden.
Michael nahm die Halsketten auseinander und klebte die Edelsteine in die Löcher, die er entlang der Stange gebohrt hatte. Er legte vier kleine Rubine in die Augenhöhlen und nickte zufrieden, als er sah, wie sehr seine Nachahmung dem Original ähnelte. Wieder griff er in den Samtbeutel und zog zwei Silbergabeln heraus. Vorsichtig sägte er die Zinken von der Gabel und klemmte die erste in einen Schraubstock. Mit einem Metallschleifgerät schliff Michael die Zinke zu einem scharfen Reißzahn und wiederholte diesen Vorgang mit den anderen Zinken, bis er vier perfekte Reißzähne besaß. Er rieb eine Mischung aus schwarzer Farbe und Kalk darauf, bis das Material wie angelaufenes Silber aussah, was den Zähnen ein antikes Aussehen verlieh. Er bohrte vier Löcher, klebte die Zähne in die Mäuler der Schlangen, hielt den Stab hoch und lächelte. Was er gebastelt hatte, hätte sogar Sultan Selim II. täuschen können, doch etwas anderes gereichte Michael sogar noch mehr zum Vorteil: Niemand wusste genau, wie der Stab aussah, nur er und KC. Er war nie in einem Museum ausgestellt gewesen, nie detailliert gezeichnet oder gemalt worden. Er war ein Gegenstand, um den sich nur Mythen rankten, und somit konnte die Replik, die Michael St. Pierre zusammengebastelt hatte, jeden täuschen.
Michael öffnete die Gussform und zog den zweiten Schlangenkopf heraus, der ein genaues Duplikat des ersten war, der inzwischen fertig vor ihm lag. Er wiederholte den gesamten Prozess des Schleifens und Bemalens und schuf eine zweite Replik mit Juwelenaugen und Silberzähnen. Er befestigte den Kopf auf einer Holzstange, umwickelte ihn mit Luftpolsterfolie und steckte ihn in eine lederne Transportrolle.
Als er KC am Morgen wiedersah, hatte Michael ihr die perfekte Replik als das Original ausgehändigt. Als er sicher wusste, dass ihr Plan aufgegangen war und sie den Originalstab nicht würden hergeben müssen, hatte er Busch losgeschickt mit dem Auftrag, das Original in den Safe des Jets zu legen. Michael zeigte KC die Holzstange mit dem Imitationskopf, die sie benutzen würde, um Iblis zu täuschen. Er war zuversichtlich, dass Iblis nicht in die Röhre hineinschauen würde, weil er es nicht riskieren konnte, den Stab an einem so öffentlichen Ort wie dem Vorplatz der Blauen Moschee herauszunehmen. Seine Rechnung ging auf: Er hatte Iblis und KC getäuscht. Aber jetzt, achtzehn Stunden später, als er wieder im Jet seines Vaters saß, der noch immer im Hangar stand, verfluchte er sich für seine Cleverness, denn es konnte gut sein, dass KC für seinen Betrug nun mit dem Leben bezahlen musste.
»Paul«, wandte Michael sich an seinen Freund, »mich interessiert dieser Schatz überhaupt nicht, ebenso wenig wie dieser Ort des Friedens oder das Grauen, das sich möglicherweise darunter verbirgt. Für mich zählt nur, dass wir KC da herausholen. Wenn Iblis und Venue dahinterkommen, dass der Stab,
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