Der Dieb der Finsternis
dessen Gleichgewicht erhalten bleiben muss und der niemals zerstört werden darf.«
»Ein Berg, der vollgepackt ist mit Schätzen?«, warf Busch mit spöttischer Stimme ein. »Kein Wunder, dass sie ihn den Berg der Fünf Schätze nennen. Und das ist bisher keinem aufgefallen? Keinem Forscher? Keinem geldgeilen Egomanen? Nicht einmal den hochgeschätzten Herrn Archäologen? Das macht doch keinen Sinn.«
»Oh doch. Einer der Ersten, die versucht haben, den Kangchendzönga zu besteigen, war ein Engländer namens Aleister Crowley, ein Mann, der vom Okkulten fasziniert war. Einige glaubten, er sei der Autor der Satansbibel, aber das war nur ein Märchen. Er war Mitglied des Golden Dawn, des Hermetischen Ordens der Goldenen Morgendämmerung, und er war verrückt nach Mythen und allem Mystischen. Niemand konnte so recht verstehen, warum er sich ausgerechnet diesen Berg ausgesucht hatte, aber seine Sherpas erzählten später, er habe unterwegs nach Spuren unbekannter Zivilisationen gesucht. Vier Menschen sind während des Aufstiegs ums Leben gekommen, und Crowley hat es nie bis zum Gipfel geschafft. Als mehr über sein Leben bekannt wurde, gelangten viele zu dem Schluss, dass er nach Shambhala gesucht hatte.
Während der Dreißigerjahre schickten Heinrich Himmler und Rudolf Hess deutsche Expeditionsteams auf die Suche nach Shambhala. Sie haben die Gebirgszüge Tibets, Nepals und Indiens abgesucht, weil sie hofften, den Reichtum und das Wissen zu finden, das die Weltherrschaft des Dritten Reiches herbeiführen könne.«
»Du kannst doch unmöglich glauben, dass ein solcher Ort wirklich existiert«, meinte Busch.
»Die Übersetzungen auf der Karte sind eindeutig«, erwiderte Simon. »Es mag sich nicht um das Shambhala handeln, wie die Menschen es sich in ihren Büchern und Märchen immer vorgestellt haben, aber etwas ist da.«
»Also gut«, sagte Michael. »Gehen wir also einfach mal davon aus, dass es diesen Ort wirklich gibt und dass dort Gold und Juwelen lagern und göttliche Weisheit … warum dann der Sultansstab? Was macht man damit? Er mag einen großen Wert haben, aber wenn das, was du beschreibst, tatsächlich existiert, wäre der Wert der Stange vergleichsweise gering … es sei denn, der Stab erfüllt einen besonderen Zweck.«
»Wie kannst du diesen Krampf überhaupt glauben?«, wollte Busch von Michael wissen, bevor er sich wieder Simon zuwandte. »Nichts für ungut.«
»Bezweifelst du das Ganze aus Skepsis oder aus Angst?« Entnervt schüttelte Simon den Kopf. »Alle Legenden basieren auf einem Fünkchen Wahrheit, egal, wie winzig das Fünkchen ist. Wie kommt es, dass so viele Kulturen die gleichen Legenden haben, die gleichen Grundprinzipien? Liegt es daran, dass diese Legenden alle den gleichen Wahrheitskern haben? Götter und Dämonen, die große Sintflut, Himmel und Hölle, Engel und Teufel, das Paradies auf Erden, das Leben nach dem Tod.
In jeder Kultur gibt es etwas, was man Axis Mundi nennt, einen Ort, an dem man von einer Existenzform in die andere vordringen kann, eine Grenze zwischen zwei Reichen wie Himmel und Erde. Manchmal sind es Berge wie der Berg Sinai, wo Gott zu Moses sprach und ihm die Zehn Gebote gab, oder wie der Ölberg, von dem die Bibel sagt, dass Jesus dort in den Himmel auffuhr. Es kann sich dabei aber auch um einen von Menschenhand geschaffenen Ort handeln wie eine Pagode, einen Kirchturm, einen Obelisken oder ein Minarett. Die Indianer hatten den Totempfahl, die Ägypter die Pyramiden, die nordischen Völker den Baum Yggdrasil. Alles Orte oder Dinge, die als Verbindungsglieder fungierten zwischen dem Menschen auf Erden und seinem Gott in der Höhe.
Eine Axis Mundi wird manchmal als das Herzstück allen Seins betrachtet, als Nabel der Mutter Erde, als der Punkt, von dem man annimmt, dass dort die vier Himmelsrichtungen des Kompasses aufeinandertreffen. Es heißt, dass dies die Stelle ist, an der sich unendliches Wissen und grenzenloser Reichtum befinden – jenseits unserer Vorstellungskraft.
KC hat dir über den Äskulapstab und den Caduceus erzählt, den Hermes- oder Merkurstab. Sie gelten ebenfalls als Axis Mundi, weil man glaubt, dass die Schlangen die Hüter jenes Wissens sind, das durch dieses Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde fließt. Der Caduceus ist ein Gegenstand, von dem behauptet wird, dass er den Zugang zum Himmel öffnet … oder zur Hölle, aber nur, wenn er sich an dem entsprechenden Ort befindet. Es ist dieser Ort, zu dem die Piri-Reis-Karte den Weg
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