Der Dieb der Finsternis
den KC bei sich führt, eine Imitation ist …« Michael stockte, war nicht in der Lage, auszusprechen, was ihn ängstigte. »Mary ist an Krebs gestorben, und ich konnte nichts tun, um das zu verhindern. Aber KC … ich werde nicht zulassen, dass eine zweite Frau, die ich liebe, stirbt. Nicht, wenn es in meiner Macht steht, sie zu retten.«
40.
K C lag in der Privatkabine im Heck des Royal Falcon Jets auf dem Bett. Sie waren inzwischen seit ungefähr acht Stunden in der Luft und flogen Richtung Osten über die felsigen Wüstenebenen der Türkei. KC hatte gelegentlich aus dem Fenster geschaut, um sich die Sterne anzuschauen; dabei hatte sie festgestellt, dass sie ihren Kurs nicht geändert hatten. Sie waren auf dem Weg ins Herz Indiens. KC wusste, wohin. Zwar kannte sie den Namen des Ortes nicht und wusste auch nicht, wo genau er sich befand, aber sie hatte ihn deutlich markiert auf der Karte gesehen.
Iblis hatte bekommen, was er gewollt hatte. Besser gesagt: Venue hatte es bekommen. Simon hatte KC beschworen, die Karte nicht in Venues Besitz fallen zu lassen, und jetzt … KC fühlte sich, als habe sie ihm die Karte ausgehändigt.
Sie fragte sich, ob Simon wusste, wer Venue in Wirklichkeit war, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Simon war ein viel zu guter Freund, um ihr ein solch verheerendes Geheimnis zu verschweigen.
Sie hatte zum ersten Mal von Venue gehört, als sie und Simon in sein Büro einbrechen wollten, um den historischen Brief zu stehlen. Sie wusste von seinen skrupellosen Geschäftspraktiken, mit denen er schwächste Konkurrenten vernichtete, und dass er weltweit enge Beziehungen zur Unterwelt unterhielt, doch nie wäre sie auf die Idee gekommen, er könne ihr Vater sein.
Er hatte seine kriminelle Vergangenheit gekonnt im englischen Shrewsbury auf dem Friedhof von St. Thomas begraben. Damals, vor all den Jahren, war Finbar Ryan tatsächlich gestorben; KC hatte neben ihrer Mutter gestanden und der Beisetzung beigewohnt. Ihr Vater verschwand von dieser Erde, nur um als Philippe Venue wiedergeboren zu werden, der seinen Holster gegen einen Aktenkoffer eintauschte.
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Venue in einem Akt psychotisch väterlicher Fürsorge Iblis losgeschickt, damit er ihrer beider persönlicher Lehrmeister wurde. KC wusste nicht, welchen Beweggrund Venue gehabt hatte oder warum er nie versucht hatte, Kontakt zu ihnen aufzunehmen oder ihnen Geld zu schicken. Sie war dankbar, dass er sich nie gemeldet hatte.
Die Tatsache jedoch, dass er ihren Lebensweg vorbestimmt und Iblis geschickt hatte, damit er eine Kriminelle aus ihr machte, indem er ihre Liebe zu ihrer Schwester benutzte, versetzte KC einen Stich ins Herz. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, ihr Vater sei ein von Grund auf verderbter und krankhaft gleichgültiger Mann – einer, der nur nehmen konnte. KC verstand nur zu gut, warum ihre Mutter diesen Mann hasste und dass sie Cindy und sie, KC, zu seiner Beerdigung mitgeschleift hatte, damit sie Zeugen seiner Beisetzung wurden.
Aber ihr Zorn auf Venue – als ihren Vater würde sie ihn nie betrachten können – und ihre Wut auf Iblis waren nichts verglichen mit dem Schmerz und der Enttäuschung, die sie ihrer Schwester gegenüber empfand. Sie hatte Cindy großgezogen, hatte alles für sie geopfert, hatte sie ernährt und versorgt. Cindy hatte sich unzählige Male an ihrer Schulter ausgeweint, weil sie keine Eltern hatten oder wegen der Schule und der Jungen. Ihr war nie bewusst gewesen, dass KC niemanden hatte, bei dem sie sich hätte ausweinen können. KC hatte ihrer Schwester zugehört, wenn sie ihr erzählt hatte, wer ihr wann und wie das Herz gebrochen hatte; sie hatte nie zugegeben, dass sie sich dabei jedes Mal fragte, wie es wohl sein mochte, sich zu verlieben, was ja die Voraussetzung dafür war, dass einem jemand das Herz brach.
Mit zunehmendem Alter war Cindy vom Erfolg und vom Geld getrieben gewesen und konnte plötzlich gar nicht mehr aufhören, damit zu prahlen, wie gut sie eines Tages für KC sorgen würde, sobald sie erst ihre Millionen gescheffelt hatte. Sie verlor sich im Materialismus der Jugend und verlor den Blick dafür, was wirklich wichtig war im Leben. Deshalb hatte Iblis es leicht gehabt, Cindy in eine Welt der leeren Versprechungen zu locken, des illusorischen Reichtums, in die Welt des Philippe Venue.
Als KC über das ganze Durcheinander und die vielen Täuschungen und Irreführungen nachdachte, erfasste sie ein Zorn, der ihr beinahe den Verstand
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