Der Dieb der Finsternis
vorbehalten gewesen. Zum ersten Mal bezwungen hatte man die gewaltigen Gipfel erst in den Fünfzigerjahren, und in den nachfolgenden Jahrzehnten hatten sich nur selten weitere Bergsteiger daran versucht. Es war ein Sport, den nur intelligente, athletische und risikofreudige Menschen betrieben, und er nahm häufiger als jede andere Sportart ein tragisches Ende und führte sogar in den Tod. Aber heutzutage gab es viele Leute, die sehr viel Geld hatten und deshalb glaubten, sich ihren Weg zum Gipfel einfach kaufen zu können, so wie sie sich ein neues Paar Schuhe kauften. Banyo hatte nichts dagegen, dass die Jetsetter lieber nach Kangchendzönga reisten als nach Aspen, Tahiti oder Afrika. Er durfte sich nur nicht allzu sehr mit ihnen anfreunden, da die Überlebensrate längst nicht so hoch war wie in Aspen, und das Ableben seiner Kunden schlug ihm immer wieder aufs Gemüt.
Banyo war gerade wieder auf dem Flugplatz gelandet, als der Boeing Business Jet auf ihn zurollte. Er war größer als Venues Maschine, die ein Stück abseits stand. Wenn man berücksichtigte, was heutzutage das Kerosin kostete, war ein größeres Flugzeug gleichzusetzen mit größeren Geldmitteln – eine Theorie, die der dunkelhaarige Amerikaner und sein großer blonder Freund bestätigten, als sie ihm fünftausend Dollar in die Hand drückten.
Banyo erzählte ihnen alles, was er über die europäische Gruppe und ihren Unverstand wusste, in der Nachsaison zu reisen. Er beschrieb die elf hünenhaften Männer und ihr militärisches Auftreten, die beiden Bergführer, die als die besten galten, die es in dieser Gegend gab, den Europäer Venue, seinen schmächtigen, dunkelhäutigen Gehilfen und seine junge Tochter. Zu guter Letzt schwärmte er von der Schönheit der hochgewachsenen Blondine mit dem trotzigen Blick – der zweiten Tochter, der aufmüpfigen, eigenwilligen jungen Frau.
Banyo rieb sich im Stillen die Hände, als die beiden Amerikaner erklärten, sie müssten zu der gleichen Stelle gebracht werden. Zwei Dreißig-Millionen-Dollar-Privatflugzeuge an einem Tag konnten kein Zufall sein.
Dann hatte Banyo seine beiden Cousins Achyuta und Max angerufen, sie gegen eine Gebühr von fünftausend Dollar als Sherpas angeboten und die beiden Amerikaner für Kleidung, Stiefel und Kletterausrüstung noch einmal um zweitausend Dollar erleichtert. Sie drückten ohne Protest immer weiter die Scheine ab, sodass Banyo zusehends von Schuldgefühlen geplagt wurde.
Am Ende hatte Banyo zwanzigtausend Dollar dafür eingesackt, seine zweite Gruppe zum Berg zu fliegen und sich anschließend abrufbereit zu halten, um sie jederzeit wieder dort abzuholen. Endlich konnte er mal wieder mit seiner Frau auf den Seychellen Urlaub machen.
Banyo führte die Männer hinter die Hütte, damit sie sich umziehen konnten, und wies durch die Hintertür auf ein großes natürliches Dampfbad, aus dem blubbernd Nebelschwaden in die kühle Luft stiegen.
»Heiße Quelle – das wird Ihnen gefallen«, hatte Banyo angeregt. »Keine schlechte Idee als Vorbereitung auf den eisigen Ort, an den Sie sich jetzt begeben.«
»Nein, vielen Dank«, erwiderte Busch, den die Bemerkung nicht gerade fröhlich stimmte.
»Die Quellen gibt es überall im Himalaja, aber diese hier sind Heilquellen, ohne Schwefelgeruch.« Banyo schnüffelte. »Riechen Sie das?«
»Tut uns leid, wir müssen uns wirklich sofort auf den Weg machen«, hatte Michael geantwortet.
Und so flogen sie über die hügelige, grüne Vorgebirgslandschaft geradewegs auf die Gipfel des Kangchendzönga zu, und die Rotoren des Helikopters verkündeten dem Berg, dass neue Opfer angeliefert wurden.
***
Busch und Michael saßen im hinteren Teil des Hubschraubers. Beide trugen große gelbe Kopfhörer, die mit Mikrofonen ausgestattet waren, sodass sie trotz des Motorenlärms miteinander kommunizieren konnten. Achyuta und Max saßen ihnen gegenüber und studierten die vergrößerte Fotokopie der nicht ins Englische übersetzten Karte, die Michael ihnen gegeben hatte. Die beiden jungen Männer sikkimischer Herkunft waren höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, und ihre mahagonifarbene Haut schien noch nicht zu wissen, was Bartwuchs war. Beide waren spindeldürr; das konnte selbst ihre dicke Bergsteigerkluft nicht verbergen. Sie freuten sich diebisch und hatten den buchstäblichen Schalk im Auge, als sie auf die Karte blickten, darauf zeigten und in ihrer nepalesischen Muttersprache miteinander flüsterten; die Aufregung stand ihnen ins Gesicht
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