Der Dieb der Finsternis
militärischen Mission. Das Dröhnen des Hubschraubermotors wurde leiser; zugleich drehten die Rotoren sich immer langsamer. Die elf Wachhunde hoben zehn große Holzkisten aus dem Heck des Helikopters. Cindy und Venue sprangen auf der rechten Seite aus dem Hubschrauber – Hand in Hand, als gingen sie auf Urlaubsreise. KC stieg auf der linken Seite aus, um den beiden so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.
Der Boden bestand aus festgetretener Erde und Felsgestein. Hier und da lagen Schneereste. Die Temperatur hielt sich bei etwa drei Grad Celsius, was im Sommer in diesem Teil der Welt der Höchsttemperatur entsprach.
Rasch brach Iblis’ Team die großen Holzkisten auf und förderte einen Tisch zutage, der vor Venue aufgestellt wurde. Als Nächstes zogen sie fertig gepackte Rucksäcke hervor, außerdem Zelte und mehrere Laptops.
Kunchen schlenderte über das offene felsige Land, mal durch Gras und mal durch Schnee, blieb hier und da stehen und atmete tief durch, schien an der Luft zu riechen und sie zu schmecken. Er streckte die Arme zur Seite und drehte sich im Kreis, als wäre es eine Art Ritual. Dann blickte er auf, las im blauen Himmel, schaute auf den gewaltigen, markanten Gipfel, der über ihnen aufragte, mehr als achteinhalbtausend Meter hoch, und studierte die Schneeverwehungen, die von den zerklüfteten Felsen des Gipfels herunterwehten.
KC riss sich los von Kunchen und seiner Ökoanalyse und schaute auf die Piri-Reis-Karte, die man inzwischen auf dem Tisch ausgerollt hatte. An der Karte hingen nun gelbe Haftnotizen in englischer Sprache – Text, den Iblis während ihres Fluges aus dem Türkischen übersetzt hatte. Sonam hielt die flatternden Ecken fest, schützte sie vor der leichten Brise, damit er lesen konnte. Er richtete den Blick auf die gebirgige Darstellung des Kangchendzönga auf der Tierhaut und glitt mit seinem schwieligen Zeigefinger über den rot eingezeichneten Weg. Venue, Cindy und Iblis standen mit angehaltenem Atem da und warteten auf Sonams Einschätzung der Lage.
Plötzlich riss er die Augen weit auf, drehte sich zu Venue um und schenkte ihm ein breites Lächeln, wobei er seine schiefen Zähne bleckte. »Fünf Stunden«, erklärte er dann und wies dabei gen Westen, in Richtung eines verschneiten Gebirgspasses.
Venue schaute auf die Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Drei Jahresgehälter für fünf Stunden Arbeit.«
»Sie erst mal warten, wie toll Ziel, bevor schreien nach Rabatt«, erwiderte Sonam in gebrochenem Englisch.
»Kein Grund zur Aufregung«, meinte Venue. »Ich habe nicht die Absicht, neu zu verhandeln.«
Iblis wandte sich an seine Männer. »Sichert die Kisten und zieht euch an. In zehn Minuten machen wir uns auf den Weg.«
KC drehte sich zu Kunchen um, der gerade auf Venue zusteuerte. Der alte Bergführer ging mit bedächtigen Schritten; etwas Warnendes lag in seinem stählernen Blick.
»Wir können nicht gehen«, verkündete er dann.
Venue sprach kein Wort, beobachtete nur, wie der Mann immer näher auf ihn zukam.
»Wieso nicht?«, fragte Iblis.
»Es zieht ein Sturm auf.«
»Ein Sturm?« Iblis blickte zum blauen Himmel.
Venue drehte sich um, schaute Sonam an und hob dabei eine Augenbraue, als bitte er um Bestätigung.
Sonam blickte hinauf zu den Schneeverwehungen, die von den Gipfeln des Berges herunterwehten, und nickte beipflichtend. »Schweres Sturm.«
»Wie schwer?«
»Hier unten?«, antwortete Kunchen. »Kein Sturm, um den man sich Sorgen machen müsste. Wir stellen die Zelte auf, machen Kaffee und erzählen uns Witze. Und in sechsunddreißig Stunden brechen wir dann auf.«
»In sechsunddreißig Stunden?«, fuhr Iblis aus der Haut.
»Wie lange wird es dauern, bis der Sturm hier ist?«, fragte Venue.
Sonam und Kunchen blickten einander an.
»Sechs Stunden«, erklärte Kunchen dann. Er war hier offensichtlich der Wortführer, der Mann, der über die größte Erfahrung verfügte, und am dritthöchsten Berg der Welt hatte Erfahrung stets Vorrang.
»Wenn wir gleich jetzt losgehen würden, könnten wir es vorher zu unserem Ziel schaffen«, sagte Iblis zu Venue.
»Sie bitte verstehen«, warf Sonam ein. »Wenn wir rechnen falsch, wenn wir aus irgendeine Gründe laufen langsamer, wenn wir geraten in eine Steinschlag auf die Weg, dann Sie werden alle Kollegen von die andere Opferleichen von Kangchendzönga.«
»Wo ich herkomme, irren sich die Wetterfrösche ständig«, sagte Iblis.
»Sie das tun, dann weil sie ihre Wissenschaft von Bücher gelernt
Weitere Kostenlose Bücher