Der Dieb der Finsternis
die ganze Zeit getrieben? Schon vor zwei Wochen habe ich dir die Kopie des Briefes gegeben. Da hast du behauptet, das Ganze sei gar kein Problem und dass du mir besorgen könntest, was ich haben will.«
»Man darf diese Dinge nicht überstürzen. Das dauert seine Zeit.«
»Zeit ist ein Luxus, den du nicht mehr hast. Du musst die Karte stehlen, bevor sie es tun.«
»Entspannen Sie sich, ich habe einen Plan.«
»Und wie sieht der aus?«
»Das spielt keine Rolle«, erwiderte der Mann und versuchte, den Fortgang der Unterhaltung selbst zu bestimmen. »Vertrauen Sie mir einfach.«
Venue schaute auf die Bildschirme an der gegenüberliegenden Wand, die leere Büros zeigten, und fragte sich, wie es kam, dass ihm alles entglitt. »Es kümmert mich einen Dreck, was du tun musst! Er ist mir gleich, wer lebt oder stirbt. Töte den Priester, töte das Mädchen, wenn es sein muss, es ist mir scheißegal. Ich brauche diese Karte. Meine Welt stürzt zusammen. Und wenn meine Welt zerbricht, gilt das auch für deine.«
3.
D er Range Rover holperte über die von Schlaglöchern übersäte Straße, die sich wie eine Schneise durch die nächtliche Wüste von Akbikistan zog. Paul Busch beschleunigte den Wagen trotzdem auf hundertdreißig Stundenkilometer, weil er diesem trostlosen Teil der Welt so schnell wie möglich entfliehen wollte. Er war dankbar für die gute Federung des Wagens, die ihnen die Schlaglöcher erträglicher machte. Mit seiner Länge von eins fünfundneunzig und einem Gewicht von mehr als hundert Kilo passte Buschs Körper so gerade eben in den Fahrersitz.
Busch ritt wesentlich lieber in Hawaii auf den Wellen, als zwei ausgebrochene Häftlinge und ihren Befreier aus diesem Wüstenland herauszukutschieren. In den vergangenen achtzehn Monaten hatte er sich körperlich wieder in Form gebracht, joggte jeden Tag zehn Kilometer und war stolz darauf, dass er beim Bankdrücken wieder sein eigenes Körpergewicht stemmen konnte. Erfreulich waren auch die Kommentare, die seine Frau Jeannie über sein immer besseres Aussehen machte. Sie behauptete sogar, er sähe wieder ganz so aus wie damals, als er noch blutiger Anfänger bei der Polizei gewesen sei. Doch Busch hatte die leise Befürchtung, dass sie mit diesen Schmeicheleien nach einem dritten Kind angelte.
Paul behauptete gern, er sei Barkeeper im Valhalla, obwohl seine Frau es vorzog, ihn als Gastronomen oder zumindest als Eigentümer der Bar zu bezeichnen. Nach zwanzigjähriger Dienstzeit hatte Busch seinen Abschied von der Polizei genommen und war mehr als zufrieden mit seiner neuen Beschäftigung, Getränke auszuschenken und eine mittlerweile florierende Bar zu führen. Was einst ein heimeliges Speiserestaurant gewesen war, hatte sich zu einem Treff gemausert, der manchmal eine Woche im Voraus ausgebucht war. Für die Bar brauchte man selbstverständlich keine Reservierung, doch sie war immer bis zum letzten Platz mit Singles besetzt, die auf der Suche nach ihrer nächsten Eroberung waren.
Obwohl die Bar ihm ein einträgliches Leben bescherte, spielte Busch immer noch jede Woche Lotto und steckte das hoffentlich Glück bringende Zettelchen in seine Hosentasche – und das, obwohl hinten in seiner Schublade mit den Socken eine unbezahlbare Rubinhalskette aus Russland versteckt lag, ein Erinnerungsstück an eine lebensbedrohliche Heldentat, die Busch gemeinsam mit Michael vollbracht hatte. Man hätte die Halskette für ein kleines Vermögen verkaufen können, doch hatte Busch beschlossen, sie vorerst unter den Socken mit dem Rautenmuster liegen zu lassen. Er war der Ansicht, dass die Vorfreude auf die Erfüllung eines Wunsches oft schöner war als die Erfüllung des Wunsches an sich. Das Leben war angenehmer, wenn man hatte, was man brauchte, aber trotzdem noch ein paar Wünsche blieben, die bislang unerfüllt waren. Das hielt das Leben in Schwung und die Hoffnung am Leben.
Busch war ein zufriedener Mann, obwohl er immer noch die Zeiten vermisste, da er für die Polizei Verbrecher gejagt, Unrecht in Recht verwandelt und arrogante Mistkerle eingebuchtet hatte, die sich einbildeten, sie stünden über dem Gesetz.
Seine Einstellung, das Gesetz sei dazu da, um eingehalten zu werden, hatte in der Vergangenheit zu Konflikten zwischen ihm und Michael geführt, besonders zu der Zeit, als er Michaels Bewährungshelfer gewesen war und die Verantwortung dafür getragen hatte, dass Michael ein gesetzestreuer Bürger blieb. Doch es waren Michaels uneigennützige Taten im Dienst
Weitere Kostenlose Bücher