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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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starrte auf Jean-Paul hinunter und erklärte, er wolle ihm nicht schaden, er habe nur einfach keinen Raum für irgendwelche Fehler. Er baute sich vor ihm auf wie ein Vater vor seinem Sohn und blickte den jungen Mann zutiefst enttäuscht an.
    Im nächsten Moment griff er mit einer Geschwindigkeit, die außergewöhnlich war für einen Mann von zweiundsechzig Jahren, nach dem Briefbeschwerer, holte aus und schlug ihn Jean-Paul mit Wucht gegen die Schläfe und dann auf die Nase, sodass der Knochen ins Hirn getrieben wurde. Immer wieder schlug er zu. Das Blut spritzte durchs Zimmer. Jean-Paul versuchte sich abzudrehen, doch es war sinnlos. Er taumelte von seinem Stuhl. Venue warf sich auf ihn und schlug auf seinen Schädel ein, bis das Gesicht des Mannes nicht mehr zu erkennen war. Die blauen Augen waren zugeschwollen, das blonde Haar blutdurchtränkt.
    Schließlich stand Venue auf, zog sich in sein privates Badezimmer zurück und duschte. Anschließend zog er sich ein Paar Leinenhosen an, eine grüne Sportjacke und Laufschuhe aus Krokoleder. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und achtete dabei darauf, nur ja einen weiten Bogen um Jean-Pauls blutigen Leichnam zu machen, denn er wollte sich seine sauberen Sachen und Schuhe nicht schmutzig machen. Noch einmal las er sein E-Mail-Rundschreiben durch, in dem es hieß, dass Jean-Paul gekündigt und die Firma verlassen habe, und drückte auf »Abschicken«.
    Das Telefon auf Venues Schreibtisch läutete. Er schaltete den Lautsprecher ein und wurde von einer Stimme begrüßt, die von atmosphärischen Störungen begleitet wurde. »Venue?«
    »Ja«, erwiderte der Geschäftsmann und machte es sich auf seinem Stuhl bequem.
    »Barabas ist tot«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.
    »Gehe ich recht in der Annahme, dass für seine neuesten Gefangenen nicht das Gleiche gilt?«
    »Sie sind verschwunden«, erklärte der Mann, als verkündete er den Tod eines Familienangehörigen.
    »Das hat man davon, wenn man Dinge korrupten Gefängnisdirektoren anvertraut.« Venue bemühte sich, seine Wut im Zaum zu halten. »Was für eine Geldverschwendung!«
    »He, Barabas war einer Ihrer Leute«, parierte der Mann. »Er hat nach Ihrer Pfeife getanzt, nicht nach meiner.«
    »Wenn wir sie hier getötet, oder wenigstens die Polizei eingeschaltet hätten, wie ich von Anfang an gesagt habe …«
    »… hätte man sie in Amsterdam umgebracht und ihre Leichen zu Ihnen zurückverfolgt, und dann hätte man ihnen den Prozess gemacht, und es wäre herausgekommen, was sie gestohlen hatten. Denken Sie mal darüber nach.«
    »Bilde dir ja nicht ein, dir wäre kein Vorwurf zu machen«, sagte Venue.
    »Es sieht so aus«, gab der Mann zurück, »als müsste ich immer häufiger den Dreck für Sie beseitigen.«
    »Und das wirst du auch weiterhin tun, bis ich dir etwas anderes sage«, brüllte Venue und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, was den Mann zum Schweigen brachte. »Wie konnten die überhaupt wissen, dass wir den Brief hatten? Woher wussten sie, dass er in meinem Büro war? Was geht da vor? Das Mädchen und ein Priester? Verdammt! Du weißt, wie ich dazu stehe.«
    Der Mann am anderen Ende schwieg weiter. Nur seine regelmäßigen Atemzüge waren zu vernehmen.
    Venue schwieg ebenfalls einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. »Da wir gerade beim Dreckwegmachen sind«, sagte er dann. »Ich weiß, dass du ein paar Tausend Kilometer weit weg bist, aber du musst mir jemanden in mein Büro schicken, um eine Entsorgung vorzunehmen.« Er blickte auf Jean-Paul, der auf dem Boden in einer Lache seines eigenen Blutes lag. »Würde es dir etwas ausmachen, mir zu sagen, wohin diese Leute geflüchtet sind? Wohin sie unterwegs sind?«
    »Was meinen Sie wohl? Die kommen hierher.«
    »Ich dachte, die hätten den Brief nicht.«
    »Was spielt das für eine Rolle?«, fragte der Mann. »Wir haben eine Kopie. Ich dachte, es würde Ihnen nichts ausmachen, wenn sie das Original bekämen.«
    »Weil ich der Meinung war, sie würden das Gefängnis nicht überleben. Und dass sie nicht versuchen würden, uns zuvorzukommen.«
    »Ich habe beide persönlich durchsucht. Sie hatten den Brief nicht.«
    »Die sind eben cleverer als du.«
    »Cleverer?« Ein Hauch von Wut schwang in der Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung.
    »Ja, cleverer. Sie haben den Brief und werden ihn zu nutzen wissen.« Venue spürte, wie heißer Zorn ihn erfasste; fest umklammerte er mit der Hand den Briefbeschwerer. »Was hast du eigentlich

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