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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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er seine gewaltigen Arme um Michael schlang und ihn an sich zog.

2.
    M it siebenundvierzig Etagen war das Wake Financial das höchste Gebäude von Amsterdam. Seit 2007 erhob es sich über der Mündung der Amstel und bot einen unverbauten Blick auf die Nordsee. Das Hochhaus stand am südlichen Rand des Altstadtviertels der niederländischen Hauptstadt, die von zahlreichen Grachten durchzogen war, denen sie ihren Beinamen verdankte: Venedig des Nordens.
    Die drei obersten Stockwerke des Wake Financial gehörten der PV Group. Auf der fünfundvierzigsten Etage wurden Aktien und Edelmetalle gehandelt, auf der sechsundvierzigsten kaufte und verkaufte man Immobilien, und im siebenundvierzigsten Stock wurden die eher illegalen Geschäfte abgewickelt.
    Besitzer und Präsident des Konzerns war Philippe Venue. Der Zweiundsechzigjährige saß hinter einem gewaltigen Schreibtisch aus schwarzem Onyx, strich mit seinen dicken, rauen Händen über einen großen Briefbeschwerer und starrte dabei auf ein dunkles Ölgemälde an der Wand seines Büros. Es war über zweihundert Jahre alt und zeigte ein krankes Kind in den Armen seiner Mutter inmitten einer Horde von Göttern, die in sonnendurchfluteten Wolken gegeneinander kämpften.
    Venues Büro war mehr als hundert Quadratmeter groß. Die Sitzgruppen waren aus teurem Leder. Der Konferenztisch aus Kirschholz bot sechzehn Personen Platz, und der große Kamin wurde während der kalten niederländischen Winter mit duftendem Holz befeuert. Die Bücherwände waren mit Antiquitäten dekoriert, vor allem mit byzantinischen Schnitzereien. Kostbare Renaissancegemälde und Expressionisten zierten die Wände, während antike griechische und römische Statuen auf niedrigen, geriffelten Sockeln standen. Ein Teil der Kunstwerke war über Auktionshäuser erworben worden; andere hatte Venue sich auf illegale Weise beschafft. Dabei ging er ähnlich vor wie beim Firmensammeln: bei manchen mit ehrlichen Finanztransaktionen, bei anderen mit brutaler Gewalt. Doch egal auf welche Weise die Kostbarkeiten in seinen Besitz gelangt waren – Venue inszenierte seine Stücke und brachte sie hier unter, in seiner palastartigen Bürosuite, dem Allerheiligsten eines Mannes, dessen Ruf zu einem Mythos geworden war.
    Venue war eins neunzig groß und schwergewichtig. Das wenige Haar, das er noch besaß, war bereits seit seinem dreißigsten Lebensjahr grau. Sein Gesicht war breit und derb, verunziert durch eine schiefe, mehrmals gebrochene Nase und durch Narben, die er sich in seiner Jugend eingehandelt hatte – auf Straßen, die ihm eine Bildung vermittelt hatten, die man sich in Harvard oder Cambridge nicht aneignen konnte.
    Venue trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug von Armani, eine blaue Krawatte von Hermès und schwarze Lederschuhe von Gucci – seine bevorzugte Montur, wenn er Verhandlungen führen oder Leute einstellen oder feuern wollte. Er war ein Mann, der nur ein einziges Ziel verfolgte: sich selbst zu dienen. Innerhalb von fünfundzwanzig Jahren hatte er ein Vermögen von mehr als drei Milliarden Dollar angehäuft, ohne dass ihm dabei jemand zur Seite gestanden hatte. In Venues Leben gab es keinen Platz für die lächerlichen Ansprüche, die eine Familie oder Liebe stellten. In seinem Leben zählte nur das Streben nach Wohlstand und Macht.
    Im Alter von achtunddreißig Jahren hatte Venue in Amsterdam eine Investmentfirma gegründet. Amsterdam war immer schon seine Lieblingsstadt gewesen, da sie in einem großartigen Land lag, in dem die Gesetze mild und die Moral locker waren. Er liebte die Grachten und die alte Architektur, die Ziegel-und Steinhäuser, von denen die idyllischen Wasserstraßen gesäumt wurden, und die vierhundert malerischen Brücken, die sie überspannten. Da Amsterdam eine der wenigen Städte war, die im Zweiten Weltkrieg von Bomben verschont geblieben waren, gab es noch eine intakte, wundervolle Altstadt, die den Übergriffen der modernen Welt trotzte.
    Venue stellte Leute ein, die Experten waren in den Bereichen Aktienhandel und Immobilien- und Finanzmarkt, und er investierte sein Vermögen mit Bedacht, indem er Firmen aufkaufte, die sich fusionieren ließen. Gegenüber von seinem Schreibtisch ließ er an der Wand fünfzehn Überwachungsmonitore installieren, die Bilder von fünfzig Kameras übertrugen, die in den beiden Stockwerken darunter installiert waren, als wollte er die Produktivität jedes Angestellten persönlich im Auge behalten, wenn die Bilder über den Bildschirm

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