Der Dieb der Finsternis
Cindy, die mit flehendem Blick in die Kamera schaute. Er stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie begann zu wimmern und zu beben.
»Du kennst mich, KC. Du weißt, wozu ich fähig bin und was ich gern tue. Ich mag dich, KC.« Der Mann hielt einen Moment inne, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen. Erneut strich er mit der Hand über Cindys Kopf und ihren Hals entlang. »Ich liebe dich, KC, als wärst du mein eigen Fleisch und Blut, aber ich habe keine Scheu, dir alles wegzunehmen, was dir in deinem Leben etwas bedeutet.
Du hast drei Tage Zeit, um den Stab zu beschaffen. Und vergiss es nicht – halte dich fern von meiner Landkarte.«
Das Bild fror ein. Die letzte Einstellung zeigte Simon, der auf dem Marmorboden lag und flach atmete, und Cindy, die verzweifelt dasaß, mit roten Augen und wirrem Blick, das einstmals perfekte Make-up von Tränen verschmiert. Der Mann griff und unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht näher an die Kamera. Dann lächelte er ein letztes Mal, und der Bildschirm wurde schwarz.
Michael und KC standen fassungslos da. Ihr Schweigen hallte förmlich durch den Raum, während sie auf den blutverschmierten Fußboden und den leeren Stuhl starrten.
»Sein Name ist Iblis«, sagte KC mit leiser Stimme, ohne den Blick vom erloschenen Bildschirm des Fernsehers zu wenden.
Michael sagte nichts. Er versuchte zu verdauen, was gerade geschehen war.
»Er ist so psychotisch, wie ein Mensch nur sein kann.« KC starrte noch immer wie gelähmt auf den Bildschirm, als würde sie zerbrechen, wenn sie den Blick abwandte. »Er ist ein Dieb, Michael. Ein sehr viel besserer Dieb als ich.«
»Woher weißt du das?«
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis KC sich endlich umdrehte und Michael anschaute, Schmerz und Niederlage in den Augen. »Er war mein Lehrmeister.«
12.
I blis war nicht sein Geburtsname. Er hatte den arabischen Namen angenommen, weil er seiner Meinung nach einen exotischen Klang besaß. Er war in Kentucky zur Welt gekommen, als Sohn eines Jockeys. Seine Mutter war halb Griechin, halb Türkin, was der Grund für ihre zerrissene Persönlichkeit war, wie ihr Ehemann behauptete. Die meisten, die Iblis’ Werdegang und seine verderbte Natur kannten, gingen davon aus, dass er aus einem asozialen oder zerrütteten Elternhaus kam oder dass er ein Waisenkind war, das sich an der Welt rächte, weil das Leben unfair zu ihm gewesen war. In Wahrheit hätte er aus keiner liebenderen Familie kommen können.
Christopher Miller senior, der es vorzog, wenn man ihn Rusty nannte – ein Spitzname, den er dem feuerroten Haarschopf verdankte, den er in seiner Jugend gehabt hatte –, hielt viel von Tradition und war überzeugt davon, der Mensch habe das Recht, Waffen zu tragen. Er brachte seinem Sohn Chris junior bereits im zarten Alter von sieben Jahren das Schießen bei. Mit acht konnte Klein-Chris aus fünfzig Metern Entfernung eine Konservendose treffen; mit zehn besaß er das Können eines Scharfschützen. Rusty lehrte ihn auch, wie man jagte und sich in und von der Natur ernährte. Er brachte ihm bei, wie wertvoll Messer als Waffen und Werkzeuge waren und wie nützlich sie in der Wildnis sein konnten, um Beute zu enthäuten und Essen zuzubereiten. Rusty unterwies seinen Sohn in der Kunst zu überleben und lehrte ihn, diese Eigenständigkeit auf sein gesamtes weiteres Leben anzuwenden, ob nun in den Wäldern oder im Dschungel der Großstadt.
Nuray Miller war eine Schönheit mit rabenschwarzem Haar, und ihre kristallblauen Augen und ihre braune Haut spiegelten sich in den Zügen ihres Sohnes. Während Rusty seinem Sohn Chris die eher körperlichen und brutalen Künste des Überlebens vermittelte, lehrte sie ihn die subtileren Fähigkeiten. Sie brachte ihm alles über die Menschen bei, über gesellschaftliche Umgangsformen und darüber, wie man mit Hilfe von Überredungskunst und angedrohter Konsequenzen alles bekam, was man wollte. Sie zeigte ihm, wie man sich in den verschiedenen Welten bewegte, in denen die Menschen lebten, und wie dies ihr selbst gelungen war, als Tochter eines griechisch-orthodoxen Reeders und einer türkisch-muslimischen Mutter. Sie verstand die Feinheiten der Diplomatie. Sie wusste, wie man das Vertrauen anderer für sich gewinnen konnte.
Die Lektionen, die sie Chris vermittelte, erlaubten es ihm, das Erscheinungsbild zu übertünchen, das er in seinen Teenagerjahren entwickelt hatte und das mehr zu einem Weichling gepasst hätte als zu einem harten
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