Der Dieb der Finsternis
mal ein, ich sehe oben nach.«
KC setzte sich in die schwarze Stretchlimousine, und Michael eilte zurück ins Hotel.
»Michael?«, rief KC ihm nach.
Michael drehte sich um.
»Lass uns losfahren, wir verschwenden nur Zeit.«
Verärgert sah Michael sie an. Er würde seinen Freund nicht hier zurücklassen; er brauchte ihn. Außerdem hatte er nicht die Absicht, sich von einer ungeduldigen KC herumkommandieren zu lassen.
Plötzlich wurde das Fenster der Beifahrertür heruntergedreht.
»Nun beweg endlich deinen Hintern«, rief eine Stimme.
Michael beugte sich vor, um ins Wageninnere sehen zu können, und stellte fest, dass Busch hinter dem Steuer saß.
»Du schuldest mir zweihundert Dollar«, meinte Busch.
Michael stieg ein und schloss die Wagentür.
»Ein Chauffeur, den ich nicht kenne und der über jeden unserer Schritte Bescheid weiß, ist das Letzte, was ich jetzt noch brauche. Habe dem Knaben verklickert, ich würde das Wägelchen für was ganz Frivoles benötigen«, sagte Busch und schaltete das Automatikgetriebe in Dauerfahrstellung.
»Etwas Frivoles? Ich wusste gar nicht, dass du weißt, was das ist.«
»Nun ja, ›Nutten‹ hört sich besser an als ›Einbruch‹.« Busch fädelte in den dichten Verkehr ein, und die große Limousine glitt wie ein Flugzeugträger zwischen den kleinen gelben Taxis und den anderen Autos dahin. Hupen dröhnten, geballte Fäuste zuckten aus Wagenfenstern. Busch ignorierte das Schimpfen und Fluchen und schaute kurz auf das Navigationssystem, das den Flughafen Istanbul-Atatürk zeigte. Dann packte er das Lenkrad fester und trat aufs Gaspedal. »Ich kann nicht versprechen, dass wir in einem Stück ankommen, aber hinkommen werden wir auf jeden Fall.«
***
Der gelbe Fiat war wie eine Biene in einem Bienenschwarm und ging unter inmitten seiner zahllosen Brüder, von denen er nicht zu unterscheiden war. Er hielt sich fünf Wagen hinter der großen schwarzen Limousine im dichten Verkehr auf der Straße, die parallel zum Bosporus verlief.
Iblis hasste sich dafür, dass er KC erpresste, damit sie nach seiner Pfeife tanzte. Er hasste es, seine Methoden bei der einzigen Person anzuwenden, vor der er Respekt hatte. Er hatte KC immer als einen Menschen betrachtet, der genau wie er war. Sie war intelligent und furchtlos. Von dem Augenblick an, da sie einander zum ersten Mal begegnet waren, hatte er sich ihr innerlich verbunden gefühlt. Zahllose Tage, Wochen und Monate hatte er damit zugebracht, sie zu formen und zu prägen und ihr Kenntnisse zu vermitteln, die er aus schlechten Erfahrungen gesammelt hatte – im Zuge nervenaufreibender Polizeiverfolgungen und durch schiere Verzweiflung. KC war die größte Leistung seines Lebens und der einzige Mensch, der ihn mit Stolz erfüllte.
Iblis griff in die Brusttasche, zog das eselsohrige Foto heraus und stellte es vor sich auf das Armaturenbrett. Er blickte auf die junge Frau, wie er es schon so oft getan hatte, auf ihr blondes Haar und in ihre grünen Augen, die genauso lächelten wie ihr Mund. Das Foto war zehn Jahre alt. Es war an einem strahlenden Sonnentag in Essex aufgenommen worden, bevor KC einen Blick in sein Herz erhascht und die Wahrheit erfahren hatte.
Als Iblis sie vor weniger als einer Woche in Venues Büro erwischt hatte, hatte er weder Wut oder Rage empfunden, noch hatte er sich verraten gefühlt. Stattdessen überwältigte ihn ein bisher nie gekanntes Gefühl der Zuneigung und Wärme, weil er KC nach zehn langen Jahren zum ersten Mal wiedersah. Er war unglaublich stolz auf sie, denn sie tat, was er ihr beigebracht hatte. Und sie tat haargenau das, was er wollte.
Die Neuigkeit, dass Venue den Brief besaß, auf welche Weise er ihn erworben hatte und wo er sich befand, hatte Iblis gezielt in der Katholischen Kirche ausgestreut, weil er wusste, dass die Nachricht irgendwann auch Simon erreichen würde – und seinen Lieblingsdieb, KC. Iblis war sich darüber im Klaren gewesen, dass er sie nicht anrufen und um ihre Hilfe bitten konnte, sowohl die Karte als auch den Caduceus zu stehlen, den Stab des Sultans. KC kannte ihn und seine Schattenseiten, seinen Hang zum Morden. Zehn Jahre waren vergangen, seit sie zum letzten Mal miteinander gesprochen hatten.
Iblis war schockiert gewesen über Venues spontane Entscheidung, sie für ihren Affront töten zu lassen. Aber als Venue seine Kontakte benutzt hatte, um KC ins Staatsgefängnis Chiron zu schicken, und als er den Gefängnisdirektor bestach, sie hinrichten zu lassen, hatte
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