Der Dieb der Finsternis
haben.«
KC seufzte. »Denkst du wirklich?«
Michael lächelte. »Denken tue ich nur, wenn es unbedingt sein muss.«
KC drehte sich um und ging in Richtung Tür. Sie konnte ihre Wut nicht mehr verbergen. »Na, dann fängst du jetzt besser damit an«, sagte sie über die Schulter, »denn wir sitzen in der Tinte.«
17.
C indy starrte auf die gewaltige Stahltür und wollte sie mittels Gedankenkraft öffnen, doch vergingen keine dreißig Sekunden, bis sie begriff, dass ihre vermeintlichen telekinetischen Fähigkeiten Wunschdenken waren. Sie nippte an einer Flasche Mineralwasser und schaute sich ihre Umgebung genauer an. Der Raum war sechs mal sechs Meter groß. Ein blauer Perserteppich bedeckte den Boden. Cindy trug keine Schuhe, und der Teppich war so dick und so weich, dass sie das Gefühl hatte, er streichle die Haut unter ihren Füßen. An der Wand hing ein Plasmafernseher, und in der Ecke befand sich eine Kochnische, deren Kühl- und Vorratsschrank mit Getränken und Lebensmitteln bestückt waren. Die mit dunklem Holz vertäfelten Wände und die schweren Mahagoni- und Ledermöbel verliehen dem Raum ein Ambiente, das an einen Londoner Club erinnerte.
Und dann war da die Pritsche, die an der hinteren Wand stand. Auf dieser Pritsche lag der bewusstlose Simon mit verbundenem Kopf.
Iblis hatte nur einen kurzen Kommentar abgegeben, während seine Männer Cindy und Simon hier heruntergebracht hatten. »Dein Leben und das Leben deines Freundes sind in der Hand deiner Schwester«, hatte er zu ihr gesagt. »Bete, dass sie Erfolg hat.« Dann war er gegangen, hatte die Tür geschlossen und sie in diesem fensterlosen Raum eingesperrt.
Cindy wusste nicht, was sie von Iblis halten sollte. Es war viele Jahre her, seit sie diesen Mann zum letzten Mal gesehen hatte, der oft zu ihnen nach Hause gekommen war, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, der sie zum Abendessen ausgeführt und sich immer benommen hatte wie ein netter Onkel. Zu Weihnachten und an Geburtstagen brachte er Geschenke mit, und er schien eine enge Beziehung zu KC zu haben.
Und jetzt, nach all dieser Zeit, tauchte er wieder auf, um sie und Simon zu entführen.
Cindy fürchtete sich, aber die anderen Gefühle, die in ihr tobten, belasteten sie wesentlich mehr. Vor allem war sie wütend auf KC. Ihre Schwester hatte ein Leben geführt, das ausschließlich aus Lügen bestanden hatte; sie war eine Kriminelle im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte Cindy in jeder Hinsicht hintergangen, sodass sie sich jetzt verraten fühlte. Es war weit schlimmer als eine Lüge; es war Betrug. Der eine Mensch, den sie geliebt und dem sie vertraut hatte, hatte sie betrogen – mit jedem Atemzug.
Und was, wenn die Welt dahinterkam? Was, wenn ihr neuer Chef herausfand, dass ihre Schwester eine Diebin war? Ihre ach so perfekte Schwester? Ihre Heldin, mit der sie sich so gebrüstet hatte? Dass man ihr Studium in Oxford mit der Beute irgendeines Kunstraubes finanziert hatte?
Dann würde sie nicht nur ihren Job verlieren. Vermutlich würde es das Ende ihrer Karriere bedeuten, wenn die Geschäftswelt erfuhr, dass ihre Schwester es vorgezogen hatte, schwere Diebstähle zu begehen, statt wie andere Leute einem ehrbaren Job nachzugehen.
Sofern es Cindy betraf, war KC ihre Schwester, ihre Mutter und ihre Vertraute zugleich gewesen. Dabei war sie die ganze Zeit durch die Weltgeschichte gereist, um Leute zu berauben, zu stehlen und sich zu bereichern. Dass sie behauptete, sie habe das alles nur getan, damit sie überleben konnten, war Lüge. Sie hätte Millionen Jobs annehmen können, hatte sich aber für den einfacheren und kürzeren Weg entschieden. KC hatte gelogen, dass sich die Balken bogen. Was war noch alles Lüge in ihrem Leben? Cindys gesamte Existenz war auf einmal infrage gestellt.
Und vor nicht einmal einer Woche war KC wegen Gott weiß was im Knast gelandet und aus diesem Gefängnis ausgebrochen. Wer war diese Frau, die sie ihre Schwester nannte?
Als Cindy jetzt eingesperrt in diesem Raum saß und über ihr Leben nachdachte, stellte sie plötzlich alles infrage. Gab es vielleicht noch andere Möglichkeiten, erfolgreich zu werden? Gab es andere Definitionen von Erfolg, die über Geld und Karriere hinausgingen? Was war mit Liebe und Kindern und den Bilderbuch-Leitsätzen zur Erlangung wahren Glücks?
Sie ging zu Simon hinüber, hockte sich auf den Rand seiner Pritsche und fühlte seinen Puls. Er war immer noch kräftig, obwohl die Wunde an seinem Kopf übel aussah. Auf
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