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Der digitale Daemon

Der digitale Daemon

Titel: Der digitale Daemon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Haupter
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die dann in die Lissabon-Strategie einging, um das alte Europa nach dem Vorbild der USA in ein ­eEurope zu verwandeln. Die EU sollte möglichst umgehend zur »Informationsgesellschaft für alle« werden. Durch die Vernetzung aller Bürger, aller Haushalte, aller Schulen, Unternehmen und Behörden würde man »in das digitale Zeitalter« und auch in ein »digital mündiges Europa« eintreten, das aber vor allem eine »Unternehmenskultur zur Finanzierung und Entwicklung neuer Ideen« sein soll. Nicht nur alle »soziale Schichten« sollten von dem geheimnisvollen »Gesamtprozess« der neuen vernetzten Mündigkeit »erfasst« werden, es sollte auch der »soziale Zusammenhalt« gefördert und vornehmlich das »Vertrauen der Verbraucher« gewonnen werden.
    Eines der seitdem virulenten Probleme ist nicht nur, dass alles viel langsamer geht und statt der erhofften Spin-offs aus der Technik die vernetzten und digitalen Finanzmärkte neue Wirtschaftskrisen und Probleme wie Crashes durch High-Frequency-Trading verursachen. Zudem wurden seitdem die Widersprüche deutlicher, die mit der Vernetzung und dem freien Informationsfluss einhergehen. Das betrifft nicht nur autoritäre Regime, die mit westlicher Technik versuchen, Proteste und Meinungsfreiheit zu unterdrücken, während sie gleichzeitig an der digitalen Ökonomie teilhaben wollen. Auf andere Weise schränken westliche Demokratien angeblich zur Terrorbekämpfung durch den Ausbau der anlasslosen Protokollierung, Vorratsdatenspeicherung und des Data Mining die Privatsphäre ein. Hingegen trifft das Versprechen auf freien Zugang zum kulturellen Wissen, was zu einer universellen Teilhabe führen und die Ungleichheit zwischen den armen und reichen Schichten, Ländern und Regionen reduzieren könnte, auf den gleichzeitigen Trend zur Privatisierung und Sicherung von Information im Rahmen des Geistigen Eigentums.
    Gegenwärtig hofft man, dass Smartphones und Tablets für eine weitere Nutzung sorgen und sich die digitale Glocke oder die digitale Cloud über den letzten Nischen und Offlinern schließt. Alle sind angedockt, immer und überall online, erreichbar, erkennbar und als Sender vorhanden, wenn die letzte Lücke geschlossen ist. Bald werden die technophoben Alten ausgestorben sein, wer (finanziell) kann, wird online sein. Aber was dann? Welches Versprechen geht davon noch aus, nachdem auch jetzt schon die Hälfte der Menschheit über Computer, Notebooks, Tablets oder Smartphones online ist, die reale Kluft aber zwischen Arm und Reich innerhalb der Gesellschaften und zwischen armen (Ressourcen-) und reichen (Wissens-)Gesellschaften weiter besteht und die Wissenskluft nicht kleiner wird?
Die Utopie der digitalen Revolution
    Vor 20 Jahren, als der Kalte Krieg, die Bedrohung durch die Atombombe und die Zeit der realen und ideologischen Mauern und Grenzen zu Ende gegangen zu sein schien, wurden viele Menschen von einem futuristischen und utopischen Geist erfasst. Die Entwicklung der Computertechnologie, die noch sehr primitive Welt der Computerspiele und die Anfänge des Internets als ein die Welt umspannendes Computernetz ließen die Vorstellung von einer virtuellen Welt entstehen, in die man eintauchen kann und die anderen Gesetzen als die der bekannten materiellen folgt. Eine andere Welt ist möglich, war die Devise – und sie wird nicht entdeckt, sondern von vielen Menschen erfunden und Stück für Stück auf der Grundlage der Hardware aus Programmen und Daten als beliebig veränderbare Software gebaut. Zudem machte der Zugang zur virtuellen Welt wieder einmal deutlich, dass es mehr zu geben scheint als die pure materielle Welt, dass die Wirklichkeit sich nicht in ihr erschöpft, dass man sich mit seinem Körper in der materiellen Welt befinden und sich gleichzeitig mit seiner Wahrnehmung und seiner Motorik über die Schnittstellen in einer nicht weniger wirklichen virtuellen Welt aufhalten kann.
    Zu Beginn der Kommerzialisierungswelle des Internets und der daraus entstehenden Internetblase verfasste der Internetpionier Perry Barlow ein Manifest, das den Geist dieser Zeit und die spätestens mit dem Dot.com-Crash und den Anschlägen vom 11.9. verschwundenen Hoffnungen recht schön vor Augen führt:
    »Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns

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