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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Fernsehen und beim Film. Nachdem er meine Mutter geheiratet hatte, war seine Karriere im Sande verlaufen. Er hatte eine lange Liste von Gründen, weshalb ihm der Durchbruch nicht gelungen war, aber ich hatte ihn oft sagen hören: Wenn meine Mutter als Model ein bisschen erfolgreicher gewesen wäre oder sich mehr darum bemüht hätte, wäre so viel Geld da gewesen, dass er sich auf die Schauspielerei hätte konzentrieren können, ohne sich um einen Tagesjob kümmern zu müssen.
    Mein Dad schob seinen Teller beiseite. Ich sah, dass er nicht viel gegessen hatte. Oft war das bei ihm ein Zeichen dafür, dass er trank oder gleich damit anfangen würde.
    » Irgendwann musste ich einfach meine Verluste begrenzen und aussteigen. « Er zerknüllte seine Serviette und warf sie auf den Tisch. Ich fragte mich, ob er Xandra schon von Mickey Rourke erzählt hatte, den er– neben mir und meiner Mutter– als Hauptschuldigen an der Entgleisung seiner Karriere betrachtete.
    Xandra nahm einen großen Schluck Wein. » Hast du je daran gedacht, wieder damit anzufangen? «
    » Ich denke daran, natürlich. Aber « , er schüttelte den Kopf, als weise er ein unerhörtes Ansinnen zurück, » nein. Im Grunde ist die Antwort ein Nein. «
    Der Champagner kitzelte meinen Gaumen, ein fernes, staubiges Funkeln, in die Flasche gefüllt in einem glücklicheren Jahr, als meine Mutter noch lebte.
    » Ich meine, in der Sekunde, in der er mich zum ersten Mal sah, wusste ich, er konnte mich nicht leiden « , sagte mein Dad leise zu ihr. Also hatte er ihr schon von Mickey Rourke erzählt.
    » Dauernd hieß es, Mickey hier, Mickey da, Mickey will dich kennenlernen, aber als ich da hereinkam, wusste ich sofort, dass es aus war. «
    » Der Typ ist doch offensichtlich ein Freak. «
    » Damals nicht, nein. Um die Wahrheit zu sagen, damals bestand tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit– nicht nur äußerlich, sondern auch im Stil des Schauspielens. Sagen wir so: Ich war klassisch ausgebildet, ich hatte meine Bandbreite, aber ich konnte die gleiche Art von Stille herüberbringen wie Mickey, weißt du, diese flüsternde Lautlosigkeit… «
    » Uuuuh, jetzt machst du mir Gänsehaut. Flüsternde Lautlosigkeit. Wie du das sagst … «
    » Ja, aber Mickey war der Star. Für zwei war nicht genug Platz. «
    Ich sah zu, wie sie sich ein Stück Käsekuchen teilten wie zwei Turteltäubchen in einem Werbespot, und versank in einem rötlichen, ungewohnten, frei fließenden Gedankenstrom: Die Lichter im Lokal waren zu hell, mein Gesicht glühte vom Champagner, und ich dachte in wirren, ungezügelten Bahnen an meine Mutter nach dem Tod ihrer Eltern, als sie zu ihrer Tante Bess hatte ziehen müssen, in ein Haus neben den Bahngleisen, mit braunen Tapeten und Plastikbezügen auf den Polstermöbeln. Tante Bess– die alles mit Crisco briet und ein Kleid meiner Mutter mit der Schere zerschnitten hatte, weil das psychedelische Muster sie störte– war eine klobige, verbitterte, irisch-amerikanische Jungfer, die die katholische Kirche verlassen hatte und in eine winzige Psychopathensekte eingetreten war, die es für unrecht hielt, Tee zu trinken oder Aspirin zu nehmen. Auf dem einzigen Foto, das ich kannte, waren ihre Augen vom gleichen verblüffenden Silberblau wie die meiner Mutter, aber sie blickten rosa umrandet und irre aus einem reizlosen Kartoffelgesicht. Für meine Mutter waren die achtzehn Monate bei Tante Bess die traurigste Zeit ihres Lebens gewesen. Die Pferde verkauft, die Hunde verschenkt, lange, tränenreiche Abschiede am Straßenrand, die Arme um den Hals von Clover und Chalkboard und Paintbox und Bruno geschlungen. Ins Haus zurückgekehrt, hatte Tante Bess zu meiner Mutter gesagt, sie sei verwöhnt, und Menschen, die den Herrn nicht fürchteten, bekämen immer, was sie verdienten.
    » Und der Produzent, weißt du– ich meine, sie wussten alle, wer Mickey war, jeder kannte ihn, und er erwarb sich bereits den Ruf, schwierig zu sein… «
    » Sie hat es nicht verdient « , sagte ich laut und unterbrach das Gespräch der beiden.
    Dad und Xandra verstummten und starrten mich an, als hätte ich mich in ein Gila-Monster verwandelt.
    » Ich meine, warum sagt man so was? « Es war nicht richtig, dass ich laut redete, und trotzdem purzelten die Worte ungebeten aus meinem Mund, als habe jemand auf einen Knopf gedrückt. » Sie war so toll, und warum waren alle so scheußlich zu ihr? Sie hat nichts von dem verdient, was ihr passiert ist. «
    Mein Dad und Xandra warfen sich

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