Der Distelfink
einen Blick zu, und er winkte nach der Rechnung.
XX
Als wir das Restaurant verließen, brannte mein Gesicht wie Feuer, und ich hatte ein grelles Tosen in den Ohren. Es war nicht mal schrecklich spät, als ich in die Wohnung der Barbours zurückkam, aber irgendwie stolperte ich über den Schirmständer und machte einen Riesenlärm, und als Mr. und Mrs. Barbour mich sahen, erkannte ich (an ihren Gesichtern mehr als an meinem eigenen Empfinden), dass ich betrunken war.
Mr. Barbour schaltete den Fernsehapparat mit der Fernbedienung ab. » Wo bist du gewesen? « , fragte er in festem, aber gutmütigem Ton.
Ich griff nach der Sofalehne. » Unterwegs mit Dad und… « Ich hatte ihren Namen vergessen; nur noch an das X konnte ich mich erinnern.
Mrs. Barbour sah ihren Mann mit hochgezogenenen Brauen an: Was habe ich dir gesagt?
» Na, dann sieh zu, dass du ins Bett kommst, mein Freund « , sagte Mr. Barbour fröhlich und mit einer Stimme, die trotz allem bewirkte, dass mir das Leben im Allgemeinen wieder ein bisschen besser erschien. » Aber weck Andy nicht auf. «
» Dir ist doch nicht übel, oder? « , fragte Mrs. Barbour.
» Nein « , sagte ich, aber das stimmte nicht; in der Nacht lag ich noch lange wach im oberen Bett und wälzte mich kläglich hin und her, während das Zimmer sich um mich drehte, und zweimal schrak ich überrascht und mit klopfendem Herzen hoch, weil es mir so vorkam, als wäre Xandra hereingekommen und redete mit mir. Was sie sagte, verstand ich nicht, aber die raue, holprige Kadenz ihrer Stimme war unverwechselbar.
XXI
» Na « , sagte Mr. Barbour am nächsten Morgen beim Frühstück und legte mir eine Hand auf die Schulter, während er mir den Stuhl herauszog. » Festessen mit dem alten Dad, hm? «
» Ja, Sir. « Ich hatte rasende Kopfschmerzen, und bei dem Geruch ihres French Toasts drehte sich mir der Magen um. Etta hatte mir unauffällig eine Tasse Kaffee aus der Küche gebracht und zwei Aspirin auf die Untertasse gelegt.
» Draußen in Las Vegas, sagst du? «
» Ja. «
» Und woher kommen seine Brötchen? «
» Bitte? «
» Womit beschäftigt er sich da draußen? «
» Chance « , sagte Mrs. Barbour in neutralem Ton zu ihm.
» Na, ich meine… ich will sagen… « Mr. Barbour merkte, dass die Frage vielleicht ein wenig taktlos gestellt war. » In welcher Branche arbeitet er? «
» Äh… « Ich verstummte. Was machte mein Dad? Ich hatte keine Ahnung.
Mrs. Barbour war anscheinend beunruhigt über die Wendung, die das Gespräch nahm. Es sah aus, als wollte sie etwas sagen, aber stattdessen meldete sich Platt, der neben mir saß, wütend zu Wort. » Wem muss ich denn einen blasen, um hier eine Tasse Kaffee zu kriegen? « , fragte er seine Mutter und schob dabei mit einer Hand auf dem Tisch seinen Stuhl zurück.
Es wurde schrecklich still.
» Er hat welchen. « Platt deutete mit dem Kopf auf mich. » Er kommt betrunken nach Hause, und er kriegt Kaffee? «
Es blieb schrecklich still, und dann sagte Mr. Barbour in einem eisigen Ton, der selbst den von Mrs. Barbour in den Schatten stellte: » Das reicht jetzt, Partner. «
Mrs. Barbour zog die hellen Brauen zusammen. » Chance… «
» Nein, diesmal verteidigst du ihn nicht. Geh auf dein Zimmer « , sagte er zu Platt. » Sofort. «
Wir alle saßen da, starrten auf unsere Teller und lauschten dem wütenden Stampfen von Platts Schritten, dem ohrenbetäubenden Knallen der Tür und– wenige Sekunden später– der lauten Musik, die wieder losging. Bis zum Ende des Frühstücks sagte kaum jemand ein Wort.
XXII
Mein Dad, der es mit allem eilig hatte und immer darauf brannte, » die Show auf die Bühne zu bringen « , wie er es nannte, verkündete, er habe vor, innerhalb einer Woche in New York alles zu erledigen und zu dritt nach Las Vegas zurückzufliegen. Und er hielt Wort. Am Montagmorgen um acht erschienen Möbelpacker in Sutton Place und fingen an, das Apartment auseinanderzunehmen und in Kisten zu verpacken. Ein Antiquariatsbuchhändler kam und sah sich die Kunstbücher meiner Mutter an, und jemand anders begutachtete ihre Möbel– und schier ehe ich michs versah, verschwand mein Zuhause in schwindelerregendem Tempo vor meinen Augen. Ich sah, wie die Vorhänge entfernt und die Bilder abgenommen und die Teppiche zusammengerollt und weggetragen wurden, und musste an einen Trickfilm denken, den ich einmal gesehen hatte: Eine Cartoonfigur mit einem Radiergummi rubbelte ihren Tisch weg, die Lampe, den Stuhl, das Fenster mit dem
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