Der Distelfink
Schatten hinter seinem Kopf und überlegte. » Nein « , sagte ich. » Eigentlich nicht. « Aus irgendeinem Grund wirkte mein Dad seit seiner Rückkehr lockerer und entspannter. Damit, dass er nicht mehr trank, konnte ich es nicht erklären, denn normalerweise war er im nüchternen Zustand schweigsam, sichtlich voller Selbstmitleid und so dicht davor auszurasten, dass ich immer darauf achtete, mindestens eine Armlänge Abstand zu halten.
» Hast du sonst noch jemandem erzählt, was du mir erzählt hast? «
» Worüber? « Verlegen senkte ich den Kopf und nahm einen Löffel Curry. Es war eigentlich ziemlich gut, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hatte, dass es gar kein Curry war.
» Ich glaube, er trinkt nicht mehr « , sagte ich in die jetzt folgende Stille hinein. » Wenn Sie das meinen? Es geht ihm anscheinend besser. Also… « Unsicher ließ ich den Satz in der Schwebe. » Na ja. «
» Wie gefällt dir seine Freundin? «
Auch darüber musste ich nachdenken. » Ich weiß es nicht « , gestand ich.
Hobie schwieg liebenswürdig und griff nach seinem Weinglas, ohne mich aus den Augen zu lassen.
» Irgendwie kenne ich sie ja eigentlich nicht, oder? Sie ist okay, schätze ich. Ich weiß nicht, was ihm an ihr gefällt. «
» Warum nicht? «
» Na ja… « Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Mein Dad konnte charmant zu den » Ladys « sein, wie er sie nannte. Er hielt ihnen die Türen auf und berührte sanft ihr Handgelenk, um einem Satz Nachdruck zu geben, und ich hatte gesehen, wie Frauen sich seinetwegen überschlugen– ein Spektakel, das ich kühl verfolgte, während ich mich fragte, wie irgendjemand auf eine so durchsichtige Nummer hereinfallen konnte. Es war so, als sähe ich kleinen Kindern dabei zu, wie sie sich von einem billigen Zauberer etwas vormachen ließen. » Ich weiß nicht. Ich habe wohl gedacht, sie würde besser aussehen oder so. «
» Auf das Aussehen kommt’s nicht an, wenn sie nett ist « , sagte Hobie.
» Ja, aber so nett ist sie nicht. «
» Oh. « Pause. » Machen sie denn den Eindruck, dass sie zusammen glücklich sind? «
» Ich weiß nicht. Na ja– schon « , gestand ich. » Zum Beispiel ist er nicht mehr dauernd so sauer. « Ich fühlte, wie Hobies unausgesprochene Frage schwer auf mir lastete. » Und er ist mich holen gekommen. Ich meine, das brauchte er ja nicht. Sie hätten auch wegbleiben können, wenn sie mich nicht wollten. «
Damit war dieses Thema beendet, und während wir zu Ende aßen, redeten wir über andere Dinge. Aber als ich gehen musste, als wir durch den von Fotos gesäumten Korridor gingen, vorbei an Pippas Zimmer, wo ein Nachtlicht brannte und Cosmo am Fußende ihres Bettes schlief, und als er mir die Haustür aufhielt, sagte er: » Theo. «
» Ja? «
» Du hast meine Adresse und meine Telefonnummer. «
» Ja. «
» Na, dann. « Ihm war offenbar fast so unbehaglich zumute wie mir. » Ich wünsche dir eine gute Reise. Pass auf dich auf. «
» Sie aber auch « , sagte ich, und wir schauten einander an.
» Tja. «
» Tja. Dann gute Nacht. «
Er stieß die Tür ganz auf, und ich verließ das Haus– zum letzten Mal, wie ich glaubte. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn jemals wiederzusehen, aber damit lag ich völlig falsch.
II
Wenn wir am stärksten sind– wer weicht zurück?
Am glücklichsten– wer fühlt sich lächerlich?
Und sind wir grausam– was kann man uns tun?
ARTHUR RIMBAUD
KAPITEL 5
Badr al-Dine
I
Ich hatte zwar beschlossen, den Koffer im Postzimmer meines alten Wohnhauses zu lassen, wo José und Goldie zuverlässig darauf aufpassen würden, aber ich wurde doch immer nervöser, je näher das Datum der Abreise rückte. Also entschied ich mich in letzter Minute, noch einmal hinzugehen, und zwar aus einem Grund, der mir heute ziemlich dämlich vorkommt: In der Hast, das Bild aus der Wohnung zu schaffen, hatte ich wahllos eine Menge Zeug mit in den Koffer geworfen, unter anderem den größten Teil meiner Sommersachen. Einen Tag, bevor mein Dad mich bei den Barbours abholen sollte, fuhr ich eilig hinunter zur 57th Street, um den Koffer noch einmal aufzumachen und ein paar der besseren Hemden herauszuholen.
José war nicht da. Ein neuer, breitschultriger Kerl (Marco V stand auf seinem Namensschild) baute sich vor mir auf und versperrte mir den Weg. Seine klobige, unnachgiebige Haltung hatte mehr von einem Wachmann als von einem Portier. » Sorry, kann ich dir helfen? « , fragte er.
Ich erklärte ihm die Sache mit meinem
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