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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Schwarzweißfernseher im Postraum (der Bildschirm war nicht größer als eine CD -Schachtel) hob eine glamourös aussehende Frau mit großen Ohrringen die Fäuste und beschimpfte einen geduckten Priester auf Spanisch.
    » Was ist denn das? « , fragte ich Goldie, der mir immer noch das Geld entgegenstreckte.
    » Deine Mutter. Hat sie dir nichts gesagt? «
    Ich war ratlos. » Was gesagt? «
    Anscheinend hatte Goldie eines Tages kurz vor Weihnachten einen Computer bestellt und ins Haus liefern lassen. Der Computer war für Goldies Sohn, der ihn für die Schule brauchte, aber Goldie (hier drückte er sich ein bisschen nebulös aus) hatte ihn genau genommen gar nicht oder nur zum Teil bezahlt oder seine Exfrau hatte ihn an seiner Stelle bezahlen sollen. Jedenfalls waren die Leute von der Spedition dabei gewesen, das Ding wieder zur Tür hinauszuschleppen und in ihren Lieferwagen zu laden, als meine Mutter zufällig heruntergekommen war und gesehen hatte, was da vorging.
    » Und da hat sie bezahlt, die schöne Lady « , sagte Goldie. » Sie hat gesehen, was los war, hat ihre Handtasche aufgemacht und ihr Scheckbuch herausgeholt. › Goldie ‹ , hat sie zu mir gesagt, › ich weiß, Ihr Sohn braucht diesen Computer für die Schule. Erlauben Sie, dass ich das für Sie übernehme, mein Freund. Zahlen Sie es mir zurück, wenn Sie können. ‹«
    » Siehst du? « , sagte José unerwartet heftig und drehte sich zu uns um; er stand vor dem Fernseher, wo die Frau jetzt auf einem Friedhof mit einem Mann mit Sonnenbrille stritt, der aussah wie ein Großindustrieller. » So war deine Mutter. « Beinahe wütend deutete er mit dem Kopf auf das Geld. » Sí, es verdad, sie war erstklassig. Sie hatte ein Herz für die Menschen, weißt du? Die meisten Frauen geben ihr Geld für sich selber aus, für goldene Ohrringe oder Parfüm oder so was. «
    Mir war nicht wohl dabei, das Geld anzunehmen, aus allen möglichen Gründen. Auch wenn es ein Schock war, kam mir die Geschichte irgendwie windig vor (welcher Laden lieferte denn einen Computer aus, der nicht bezahlt war?). Später fragte ich mich: Sah ich so arm aus, dass die Pförtner für mich gesammelt hatten? Ich weiß heute noch nicht, woher das Geld kam, und ich wünschte, ich hätte mehr Fragen gestellt, aber ich war so verdattert von allem, was an dem Tag passiert war (besonders vom plötzlichen Auftauchen meines Vaters und Xandras), dass Goldie mir genauso gut ein altes Kaugummi hätte anbieten können, das er vom Boden abgekratzt hatte: Ich hätte die Hand ausgestreckt und es gehorsam angenommen.
    » Geht mich nichts an « , sagte José und schaute dabei über meinen Kopf hinweg, » aber ich an deiner Stelle würde niemandem etwas von dem Geld sagen. Verstehst du? «
    » Yeah, steck’s in die Tasche « , sagte Goldie. » Lauf nicht rum und wedel damit durch die Luft. Gibt jede Menge Leute auf der Straße, die dich für so viel Kohle umbringen würden. «
    » Gibt jede Menge davon hier im Haus! « José musste plötzlich lachen.
    » Ha! « Goldie platzte ebenfalls vor Lachen, und dann sagte er etwas auf Spanisch, das ich nicht verstand.
    » Cuidado « , sagte José und wackelte, wie es seine Art war, mit dem Kopf. Er tat ernst, konnte aber sein Lächeln nicht unterdrücken. » Darum lassen sie Goldie und mich nicht auf derselben Etage arbeiten « , sagte er zu mir. » Sie müssen uns voneinander fernhalten. Wir haben zu viel Spaß zusammen. «
    XIX
    Nachdem Dad und Xandra aufgetaucht waren, ging alles sehr schnell. Beim Essen an diesem Abend (in einem touristischen Restaurant, das mein Dad zu meiner Überraschung ausgesucht hatte) nahm er am Tisch einen Anruf von jemandem bei der Versicherung meiner Mutter entgegen, und noch nach all den Jahren wünschte ich, ich hätte mehr davon mithören können. Aber es war laut in dem Restaurant, und Xandra (während sie ihren Weißwein in großen Schlucken trank– vielleicht hatte er aufgehört zu trinken, aber sie ganz sicher nicht) beschwerte sich abwechselnd darüber, dass sie nicht rauchen durfte, und erzählte mir auf unkoordinierte Art und Weise, wie sie aus einem Buch aus der Bücherei das Hexen gelernt hatte, damals auf der Highschool, irgendwo in Fort Lauderdale. ( » Wicca nennt man das, genau gesagt. Ist eine Erdreligion. « ) Jemand anderen hätte ich fragen können, was es genau bedeute, eine Hexe zu sein (Zaubersprüche und Opfer? Pakt mit dem Teufel?), aber bevor ich dazu Gelegenheit hatte, war sie schon woanders und sprach

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