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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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davon, dass sie Gelegenheit gehabt hatte, aufs College zu gehen, und wie sehr sie es bedaure, dass sie es nicht getan hatte ( » ich sag dir, was mich interessiert hätte. Englische Geschichte und so. Heinrich der Achte, Maria Stuart « ). Aber dann war sie nicht aufs College gegangen, weil sie besessen war von diesem Typen. » Besessen « , zischte sie und fixierte mich mit scharfen, farblosen Augen.
    Wieso die Besessenheit von diesem Typen Xandra daran gehindert hatte, aufs College zu gehen, habe ich nie erfahren, denn Dad beendete sein Telefongespräch und bestellte (was ich mit einem komischen Gefühl zur Kenntnis nahm) eine Flasche Champagner.
    » Ich kann nicht das ganze verdammte Ding austrinken « , sagte Xandra, die bei ihrem zweiten Glas Wein war. » Sonst kriege ich Kopfschmerzen. «
    » Na, wenn ich schon keinen Champagner trinken kann, dann wenigstens du « , sagte mein Vater und lehnte sich zurück.
    Xandra deutete mit dem Kopf auf mich. » Lass ihn welchen trinken « , schlug sie vor. » Ober, bringen Sie noch ein Glas. «
    » Sorry « , sagte der Kellner, ein Italiener mit harten Kanten, der aussah, als sei er es gewohnt, mit außer Rand und Band geratenen Touristen fertigzuwerden. » Kein Alkohol, wenn er unter achtzehn ist. «
    Xandra fing an, in ihrer Handtasche zu wühlen. Sie trug ein braunes Trägerkleid und hatte sich einen so kräftigen Strich von Rouge oder Bronzer oder irgendeinem braunen Puder unter die Wangenknochen gepinselt, dass ich den starken Drang verspürte, ihn mit der Fingerspitze zu verwischen.
    » Lass uns rausgehen und eine rauchen « , sagte sie zu meinem Vater. Es folgten ein paar lange Sekunden, in denen sie einen feixenden Blick wechselten, bei dem ich schmerzhaft berührt den Kopf einzog. Dann schob Xandra ihren Stuhl zurück, warf ihre Serviette auf die Sitzfläche und sah sich nach dem Kellner um. » Oh, gut, er ist weg. « Sie griff nach meinem (fast) leeren Wasserglas und ließ Champagner hineinschwappen.
    Bevor sie zurückkamen, war das Essen serviert worden, und ich hatte mir verstohlen noch ein großes Glas Champagner eingegossen. » Mmmm! « , machte Xandra. Ihr Blick war glasig, und sie glänzte ein bisschen, als sie ihren kurzen Rock herunterzog und sich um den Tisch herum auf ihren Stuhl schob, ohne sich die Mühe zu machen, ihn ganz herauszuziehen. Sie klatschte sich die Serviette auf den Schoß und zog ihren wuchtigen, leuchtend roten Teller Cannelloni zu sich heran. » Sieht ja toll aus! «
    » Meins auch « , sagte mein Dad, der bei italienischem Essen wählerisch war und den ich schon oft über Pasta-Gerichte hatte mäkeln hören, die mit Tomaten überhäuft und in Marinara-Sauce ertränkt waren– genau wie das, was jetzt vor ihm stand.
    Sie machten sich über ihr Essen her (das vermutlich ziemlich kalt war, wenn man bedachte, wie lange sie weg gewesen waren) und nahmen ihre Unterhaltung nahtlos wieder auf. » Na, jedenfalls ist nichts daraus geworden. « Er lehnte sich zurück und spielte verwegen mit einer Zigarette, die er nicht anzünden durfte. » So geht’s einem. «
    » Ich wette, du warst großartig. «
    Er zuckte die Achseln. » Selbst wenn du jung bist « , sagte er, » ist es ein hartes Spiel. Es geht nicht nur um Talent. Hat auch viel mit Aussehen und Glück zu tun. «
    » Trotzdem. « Xandra betupfte sich den Mundwinkel mit ihrer um die Fingerspitze gewickelten Serviette. » Ein Schauspieler. Ich sehe es total vor mir. « Die gescheiterte Schauspielerkarriere meines Vaters war eins seiner Lieblingsthemen, und obwohl sie einen ganz interessierten Eindruck machte, sagte mir irgendetwas, dass auch sie nicht zum ersten Mal davon hörte.
    » Und ob ich mir wünsche, ich wäre dabeigeblieben? « Mein Dad betrachtete sein alkoholfreies Bier (oder war es dreiprozentig? Von meinem Platz aus konnte ich es nicht erkennen). » Ich muss sagen, ja. Das ist eins von den Dingen, die man sein Leben lang bedauert. Ich hätte gern etwas mit meinem Talent angefangen, aber den Luxus konnte ich mir nicht leisten. Komisch, wie das Leben einem manchmal in die Quere kommt. «
    Sie waren tief in ihrer eigenen Welt versunken, und ich hätte genauso gut in Idaho sein können, aber das war mir recht. Ich kannte die Geschichte. Mein Dad, ein Schauspielstar auf dem College, hatte kurze Zeit lang seinen Lebensunterhalt als Schauspieler verdient: als Off-Stimme in Werbespots und mit ein paar Nebenrollen (als ermordeter Playboy und als verwöhnter Sohn eines Mafiabosses) im

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