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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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er öffnete eine Flasche Bier, » unser ganzes Wasser war verdorben. Typhus. Wir hatten nur Bier, Pepsi war alle, Lucozade war alle, Jodtabletten waren alle: volle drei Wochen, mein Dad und ich und sogar die Muslime, nichts zu trinken außer Bier! Zum Frühstück, zum Mittagessen, immer. «
    » Das klingt nicht so übel. «
    Er verzog das Gesicht. » Hatte die ganze Zeit Kopfschmerzen. Einheimisches Bier, in Neuguinea– schmeckt sehr schlecht. Das hier ist der gute Stoff! In der Tiefkühlung ist auch Wodka. «
    Ich wollte Ja sagen, um ihn zu beeindrucken, aber dann dachte ich an die Hitze und den Heimweg und sagte: » Nein danke. «
    Er stieß mit seiner Flasche klingend gegen meine. » Hast recht. Viel zu heiß, um tagsüber zu trinken. Mein Dad trinkt so viel, dass die Nerven in seinen Füßen tot sind. «
    » Im Ernst? «
    » Das heißt « , er legte sein Gesicht in Falten und bemühte sich, die Worte hervorzubringen, » periphere Neuropathie « (er sprach es » Neuro pa thie « aus). » In Kanada, im Krankenhaus, mussten sie ihm beibringen, wieder zu gehen. Er ist aufgestanden– auf den Boden gefallen– seine Nase blutet– zum Piepen. «
    » Klingt unterhaltsam. « Ich musste daran denken, wie mein eigener Dad mal auf Händen und Knien zum Kühlschrank gekrochen war, um Eis zu holen.
    » Sehr. Was trinkt deiner? Dein Dad? «
    » Scotch. Wenn er trinkt. Angeblich hat er jetzt aufgehört. «
    » Hah « , sagte Boris, als habe er das schon einmal gehört. » Mein Dad sollte wechseln– guter Scotch ist hier sehr billig. Hey, willst du mein Zimmer sehen? «
    Ich erwartete etwas Ähnliches wie mein eigenes Zimmer und war überrascht, als ich so etwas wie ein zerlumptes Zelt betrat. Es stank abgestanden nach Marlboros, überall stapelten sich Bücher, alte Bierflaschen und Aschenbecher, und Haufen von schmutzigen Handtüchern und ungewaschenen Kleidungsstücken lagen verstreut auf dem Boden. An den Wänden wallte bedruckter Stoff– gelb, grün, indigo und violett–, und eine rote Hammer-und-Sichel-Flagge hing über der mit einem Batiktuch bedeckten Matratze. Es sah aus, als sei ein russischer Kosmonaut im Dschungel notgelandet und habe sich aus seiner Staatsflagge und allen einheimischen Sarongs und Textilien, die er finden konnte, einen Unterstand gebaut.
    » Hast du das gemacht? « , fragte ich.
    » Ich falte es zusammen und stecke es in einen Koffer. « Boris ließ sich auf die grellbunte Matratze fallen. » Dauert nur zehn Minuten, alles wieder anzubringen. Willst du SOS Eisberg sehen? «
    » Klar. «
    » Wahnsinnsfilm. Ich hab ihn sechs Mal gesehen. Zum Beispiel, wenn sie in ihr Flugzeug steigt, um die auf dem Eis zu retten? «
    Aber irgendwie kamen wir an diesem Nachmittag nicht dazu, uns SOS Eisberg anzusehen, vielleicht weil wir nicht lange genug aufhörten zu reden, um hinunterzugehen und den Fernseher einzuschalten. Boris hatte ein interessanteres Leben hinter sich als irgendjemand sonst in meinem Alter, den ich kannte. Anscheinend war er nicht sehr oft zur Schule gegangen, und dann nur in die allererbärmlichste Sorte; da draußen in den trostlosen Gegenden, in denen sein Dad arbeitete, gab es oft gar keine Schule für ihn. » Es gibt ja Videos. « Er trank einen Schluck Bier und sah mich mit einem Auge an. » Und man kann Prüfungen machen. Aber dafür muss man Internet haben, und manchmal, zum Beispiel hoch oben in Kanada oder in der Ukraine, haben wir keins. «
    » Und was machst du dann? «
    Er zuckte die Achseln. » Viel lesen, schätze ich. « Ein Lehrer in Texas, erzählte er, hatte ein Studienprogramm für ihn aus dem Netz heruntergeladen.
    » In Australien muss es doch eine Schule gegeben haben. «
    Boris lachte. » Klar gab’s die. « Er pustete sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. » Aber als meine Mum gestorben war, haben wir eine Zeit lang im Northern Territory gewohnt– im Arnhemland– eine Stadt namens Karmeywallag? Sogenannte Stadt. Meilenweit mitten im Nirgendwo– Wohnwagen für die Bergleute und eine Tankstelle mit ’ner Bar hinten dran, Bier und Whiskey und Sandwiches. Jedenfalls, die Frau von Mick, der die Bar hatte, Judy hieß sie « , er trank aus seiner Flasche, und das Bier lief ihm übers Kinn, » mit Judy hab ich die ganze Zeit, jeden Tag immer nur Soaps geguckt, und abends war ich bei ihr hinter der Theke, wenn mein Dad und seine Crew aus dem Bergwerk sich besoffen haben. Während Monsun konnte man nicht mal fernsehen. Judy hatte ihre Kassetten im

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