Der Distelfink
Aufstehen taumelte und mich am Tisch festhalten musste. » Diskutier nicht. Lass uns gehen. «
» Ich glaube, es ist ein Fehler, mit dir irgendwo hinzugehen. «
» Ach ja? « Ich sah ihn an, ein Auge halb geschlossen. » Kommst du jetzt mit oder nicht? «
Boris betrachtete mich kühl. Dann kniff er mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken. » Du sagst mir nicht, wohin. «
» Nein. «
» Du hast aber nichts dagegen, wenn mein Fahrer uns hinbringt? «
» Dein Fahrer? «
» Na klar. Er wartet so zwei, drei Blocks weiter. «
» Verdammte Scheiße. « Ich schaute weg und lachte. » Du hast einen Fahrer ? «
» Du hast also nichts dagegen, wenn wir mit ihm fahren, ja? «
» Wieso sollte ich? « , fragte ich nach einer kurzen Pause. So betrunken ich auch war, sein Benehmen ließ mich stutzen: diese sonderbare, unverhohlene Berechnung im Blick, die ich noch nie an ihm gesehen hatte.
Boris trank seinen Wodka aus und stand auf. » Na schön « , sagte er und drehte eine unangezündete Zigarette lässig zwischen den Fingerspitzen. » Bringen wir diesen Unsinn hinter uns. «
VI
Als ich bei Hobie die Haustür aufschloss, hielt Boris sich sehr weit im Hintergrund, als fürchtete er, mein Schlüssel in diesem Schloss könnte eine mächtige Explosion auslösen. Sein Fahrer parkte in der zweiten Reihe in einer demonstrativen Wolke aus Auspuffqualm. Im Wagen hatten er und der Fahrer die ganze Zeit nur Ukrainisch gesprochen; selbst mit meinen zwei Semestern Russische Konversation auf dem College verstand ich kein Wort.
» Komm rein « , sagte ich und konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. Was dachte er sich, der Idiot? Dass ich ihn anspringen würde? Ihn kidnappen oder so was? Aber er stand noch auf der Straße, die Fäuste in den Manteltaschen, und sah sich über die Schulter nach dem Fahrer um, dessen Name Genka oder Juri oder Georgi war– oder sonst wie, scheiße, ich wusste es nicht mehr.
» Was ist los? « , fragte ich. Mit weniger Alkohol in der Birne wäre ich wegen seiner Paranoia vielleicht wütend geworden, aber so fand ich sie nur irre komisch.
» Sag mir noch mal, warum wir müssen herkommen? « Er hielt sich immer noch im Hintergrund.
» Das wirst du sehen. «
» Und du wohnst hier oben? « , fragte er argwöhnisch und spähte in den Salon. » Ist dein Haus? «
Ich hatte mit der Tür mehr Lärm gemacht, als ich wollte. » Theo? « , rief Hobie von hinten. » Bist du das? «
» Ja. « Er trug Anzug und Krawatte– scheiße, dachte ich, hat er Gäste? Jäh wurde mir bewusst, dass es gerade Zeit zum Abendessen war. Mir kam es vor wie drei Uhr früh.
Boris hatte sich vorsichtig hinter mir ins Haus geschoben, die Hände immer noch in den Taschen, die Haustür hinter sich weit offen. Sein Blick richtete sich auf die großen Basalturnen und den Kronleuchter.
» Hobie « , sagte ich– er hatte sich mit hochgezogenen Brauen in den Hausflur herausgewagt, und Mrs. DeFrees kam bang hinter ihmher getrippelt. » Hi, Hobie, du erinnerst dich, ich habe dir von… «
» Poptschik! «
Das kleine weiße Bündel, das da pflichtschuldig durch den Flur zur Haustür getrippelt kam, erstarrte. Dann stieß er einen schrillen Schrei aus und rannte los, so schnell er konnte (was wirklich nicht mehr besonders schnell war), und Boris fiel jauchzend und lachend auf die Knie.
» Oh! « Er raffte ihn an sich, und Poptschik zappelte und strampelte. » Du bist fett geworden! Er ist fett! « Poptschik sprang hoch und küsste ihn ins Gesicht. » Du hast ihn fett werden lassen! « , sagte er empört. » Ja, hallo, pustýschka, du kleiner Flauschkugel, du, hallo! Du kennst mich noch, ja? « Er kippte auf den Rücken, lag ausgestreckt da und lachte, und Poptschik sprang, immer noch schrill kläffend vor Glück, auf ihm hin und her. » Er kennt mich noch! «
Hobie rückte seine Brille zurecht und stand amüsiert abseits. Mrs. DeFrees– etwas weniger amüsiert– blieb hinter Hobie stehen und verfolgte mit leichtem Stirnrunzeln das Spektakel meines nach Wodka riechenden Gastes, der da mit dem Hund auf dem Teppich herumrollte und -tollte.
» Jetzt sag bloß…! « Hobie schob die Hände in die Taschen seines Jacketts. » Ist das…? «
» Genau! «
VII
Wir blieben nicht lange– Hobie hatte im Laufe der Jahre viel von Boris gehört, lasst uns was trinken gehen!, und Boris war genauso interessiert und neugierig, wie ich es beim Auftauchen von Judy aus Karmeywallag oder irgendeiner anderen sagenumwobenen Gestalt aus seiner
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