Der Distelfink
«
» Moment mal– das hat Xandra dir erzählt? «
» Ja. Als du weg warst. Als ich mit ihr gewohnt habe. «
» Du musst vielleicht ein Stück weiter zurückgehen. «
Boris seufzte. » Na ja, ist eine lange Geschichte. Aber wir haben uns auch lange nicht gesehen, oder? «
» Du hast mit Xandra zusammengewohnt? «
» Mal ja, mal nein. Vier, fünf Monate vielleicht. Bevor sie nach Reno zurückgegangen ist. Danach habe ich den Kontakt zu ihr verloren. Mein Dad war zurück nach Australien gegangen, weißt du, und außerdem waren Kotku und ich am Arsch… «
» Das muss wirklich schräg gewesen sein. «
» Ja– sozusagen « , antwortete er fahrig. » Weißt du « , er lehnte sich zurück und winkte dem Kellner noch einmal, » ich war ziemlich schlecht in Form. Ich war seit Tagen auf den Beinen. Du weißt, wie es ist, wenn man nach Koksen hart wieder landet– schrecklich. Ich war allein und hatte echt Angst. Du kennst diese Krankheit in der Seele, schnelles Atmen und jede Menge Angst, als ob der Teufel gleich die Hand ausstreckt und dich holt? Dünn– dreckig– zitternd vor Angst. Wie eine kleine, halb tote Katze! Und noch dazu Weihnachten– alle weg! Hab ein paar Leute angerufen, niemand nimmt ab. Bin bei diesem Typen Lee vorbeigegangen, wo ich manchmal im Poolhaus übernachtet habe, aber er war weg, die Tür war abgeschlossen. Bin gegangen und gegangen– getorkelt beinahe. Kalt und verängstigt! Niemand zu Hause! Also zu Xandra. Kotku sprach da nicht mehr mit mir. «
» Mann, du hast vielleicht Eier. Da wäre ich nicht für eine Million Dollar wieder hingegangen. «
» Ich weiß, ich brauchte schon Mumm, aber ich war so einsam und krank. Meine Lippen gezittert. Wie wenn du still liegen und auf eine Uhr schauen und deine Herzschläge zählen möchtest? Aber du kannst nirgendwo still liegen? Und du hast keine Uhr? Hätte fast geheult! Wusste nicht, was ich machen soll! Wusste nicht mal, ob sie noch da war. Aber da brannte Licht– das einzige Licht in der Straße–, und ich bin zur Glastür rumgegangen, und da war sie in ihrem alten › Dolphins ‹ -Shirt in der Küche und mixte Margaritas. «
» Und dann? «
» Ha! Wollte mich nicht reinlassen zuerst! Stand in der Tür und schrie mich ’ne ganze Weile an– verfluchte mich, beschimpfte mich mit allen möglichen Wörtern! Aber dann fing ich an zu weinen. Und als ich sie fragte, ob ich bei ihr bleiben könnte? « Er zuckte die Achseln. » Da hat sie ja gesagt. «
» Was? « Ich griff nach meinem Schnapsglas, das er mir nachgefüllt hatte. » Du meinst, bleiben, wie in › bleiben ‹ …? «
» Ich hatte Angst! Sie ließ mich in ihrem Zimmer schlafen! Mit Weihnachtsfilmen im Fernsehen! «
» Aha. « Er wollte, dass ich ihn drängte, ins Detail zu gehen, das sah ich ihm an, aber in Anbetracht des Schmunzelns in seinem Gesicht war ich mir auch diesmal nicht so sicher, ob ich ihm die Geschichte, dass er in ihrem Zimmer geschlafen hatte, glauben sollte. » Wie schön, dass es für dich noch gut ausgegangen ist, würde ich sagen. Hat sie was über mich gesagt? «
» Na ja, ein bisschen. « Er lachte leise. » Sogar eine Menge, ehrlich gesagt. Weil ich nämlich– ich meine, sei nicht sauer, aber ich hab dir die Schuld an ein paar Sachen gegeben. «
» Freut mich, dass ich dir helfen konnte. «
» Ja, natürlich! « Triumphierend stieß er mit mir an. » Danke! Wenn du das Gleiche tun würdest, hätte ich auch nichts dagegen. Aber ehrlich– die arme Xandra, ich glaube, sie war froh, mich zu sehen. Überhaupt jemanden zu sehen. Ich meine « , er kippte seinen Wodka herunter, » es war verrückt… diese schlechten Freunde… sie war ganz allein da draußen. Hat viel getrunken, Angst, zur Arbeit zu gehen. Hätte ihr leicht was passieren können– keine Nachbarn, echt unheimlich. Denn Bobo Silver– ja, Bobo war eigentlich kein ganz schlechter Kerl. › The Mensch ‹ ? Sie nennen ihn nicht umsonst so! Xandra hatte eine Todesangst vor ihm, aber er ist ihr wegen der Schulden, die dein Dad hinterlassen hatte, nicht auf die Pelle gerückt, nicht ernsthaft jedenfalls. Überhaupt nicht. Dabei stand dein Dad fett in der Kreide. Wahrscheinlich war ihm klar, dass sie pleite war– dein Dad hat auch sie ordentlich verarscht. Da konnte er sie auch anständig behandeln. Aus einer Rübe presst du kein Blut. Aber diese anderen Leute, ihre sogenannten Freunde, die waren mies wie Banker. Verstehst du? › Du schuldest uns Geld. ‹ Richtig hart, mit gottverdammten
Weitere Kostenlose Bücher