Der Distelfink
waren flammend rot. » Weißt du « , er hatte sich bereits aus dem Jackett gewunden, und jetzt nahm er die Manschettenknöpfe ab, steckte sie in die Tasche und krempelte sich die Ärmel hoch, » dein Dad hat mir gezeigt, wie man sich ordentlich anzieht. Dafür bin ich ihm dankbar. «
» Ja, mein Dad hat uns beiden eine Menge beigebracht. «
» Ja « , sagte er aufrichtig. Er nickte energisch und ohne Ironie mit dem Kopf und wischte sich mit der Handkante unter der Nase entlang. » Er sah immer aus wie ein Gentleman. Zum Beispiel– so viele von den Typen im Club: Lederjacken, Velours-Jogginganzüge, als kämen sie geradewegs von der Einwanderung. Viel besser, man kleidet sich schlicht wie dein Dad: schöne Jacke, schöne Uhr, aber klássny – weißt du, einfach. Unauffällig. «
» Genau. « Weil es mein Beruf war, so etwas zu bemerken, hatte ich Boris’ Armbanduhr bereits gesehen: Schweizer Fabrikat, Einzelhandelspreis ungefähr fünfzigtausend, eine Uhr für einen europäischen Playboy, zu grell für meinen Geschmack, aber extrem zurückhaltend im Vergleich zu den juwelenbesetzten Gold- und Platin-Klumpen, die ich in seinem Club gesehen hatte. Jetzt sah ich, dass er einen blauen Davidstern auf den Unterarm tätowiert hatte.
» Was ist das? «
Er hielt mir das Handgelenk entgegen, damit ich besser sehen konnte. » IWC . Eine gute Uhr ist wie Geld auf der Bank. Kann man notfalls immer versetzen oder verkaufen. Die hier ist Weißgold, sieht aber aus wie Edelstahl. Besser, die Uhr sieht nicht so teuer aus, wie sie ist. «
» Nein, das Tattoo. «
» Ah. « Er schob den Ärmel weiter hoch und betrachtete mit Bedauern seinen Arm– aber ich schaute schon nicht mehr das Tattoo an. Es war nicht sehr hell im Auto, aber ich erkannte Einstichspuren, wenn ich welche sah. » Den Stern meinst du? Ist lange Geschichte. «
» Aber… « Ich wusste, dass ich mich besser nicht nach den Stichen erkundigte. » Du bist doch kein Jude. «
» Nein! « , sagte Boris entrüstet und schob den Ärmel wieder herunter. » Natürlich nicht! «
» Na, dann wäre die Frage ja vielleicht, wieso… «
» Weil ich Bobo Silver erzählt habe, ich wäre Jude. «
» Was? «
» Weil ich wollte, dass er mich einstellt! Da hab ich gelogen. «
» Im Ernst? «
» Ja! Hab ich! Er kam oft bei Xandra vorbei– schnüffelte in der Straße rum, als ob was faul wäre, zum Beispiel, als ob dein Vater vielleicht nicht tot wäre–, und eines Tages hab ich mich getraut, ihn anzusprechen. Hab angeboten, für ihn zu arbeiten. Alles geriet außer Kontrolle– gab Ärger in der Schule, ein paar Leute mussten in den Entzug, andere flogen raus–, und ich musste die Verbindung zu Jimmy abbrechen, verstehst du, und eine Zeitlang was anderes machen. Und ja, mein Familienname ist ganz falsch, aber Boris, in Russland, ist ein Vorname für viele Juden, und deshalb dachte ich, wieso nicht? Woher soll er es wissen? Ich dachte, das Tattoo wäre gut– um ihn zu überzeugen, weißt du, dass ich gut wäre. Hab’s mir von einem Typen stechen lassen, der mir hundert Dollar schuldete. Hab mir eine große, traurige Geschichte ausgedacht, meine Mutter polnische Jüdin, Familie im Konzentrationslager, buuhuuhuu. Ich Blödmann, hatte nicht gewusst, dass Tattoos sind gegen das jüdische Gesetz. Wieso lachst du? « , fragte er defensiv. » Jemand wie ich– ist nützlich für ihn, weißt du? Jedenfalls, er wusste verdammt genau, dass ich kein Jude war. Er lachte mir ins Gesicht, aber genommen hat er mich doch, und das war sehr freundlich von ihm. «
» Wie konntest du für einen Kerl arbeiten, der meinen Dad umbringen wollte? «
» Er wollte deinen Dad nicht umbringen! Das ist nicht wahr und nicht fair. Wollte ihm nur Angst machen. Aber– ja, ich habe für ihn gearbeitet, fast ein Jahr. «
» Was hast du für ihn getan? «
» Nichts Schmutziges, ob du es glaubst oder nicht. War nur Assistent– Botenjunge, hab Gänge für ihn erledigt, hierhin, dahin. Führ seine Hündchen aus! Hol die Sachen aus der Reinigung! Bobo war guter, großzügiger Freund in schlechten Zeiten– ein Vater fast, das kann ich dir sagen mit der Hand auf dem Herzen. Mehr Vater jedenfalls als mein eigener Vater. Bobo war immer fair zu mir. Mehr als fair. Gut. Habe ich viel von ihm gelernt, indem ich zugesehen habe. Deshalb macht es mir nicht so viel aus, diesen Stern für ihn zu tragen. Und das « , er streifte den Ärmel bis zum Bizeps hoch: eine Dornenrose und eine kyrillische Inschrift, » das
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