Der Distelfink
her, aber ich wollte gern trödeln und mir alles ansehen: Familiengruppen, weiße Säulen, Veranden und Palmen. Ein Tennisplatz, ein Perserteppich auf dem Rasen. Männliche Bedienstete in weißen Pyjamas, Seite an Seite in feierlichem Ernst. Mein Blick landete auf Mr. Blackwell, hakennasig und sympathisch, in einem flotten weißen Anzug, bucklig schon als junger Mann. Er lehnte entspannt an einer Mauer am Meer in einer Gegend mit Palmen, und neben ihm– auf der Mauer, mit der Hand auf seiner Schulter, einen Kopf höher als er– lächelte eine Pippa im Kindergartenalter. So klein siewar, so klar doch die Ähnlichkeit: ihre Hautfarbe, ihre Augen, der Kopf auf die gleiche Weise zur Seite gelegt, das Haar so rot wie seins.
» Das ist sie, nicht wahr? « , sagte ich, und im selben Augenblick wusste ich, dass sie es nicht sein konnte. Dieses Foto mit den verblichenen Farben und altmodischen Kleidern war lange vor meiner Geburt entstanden.
Hobie kam zurück, um es sich anzuschauen. » Nein « , sagte er leise und legte die Hände auf den Rücken. » Das ist Juliet. Pippas Mutter. «
» Wo ist sie? «
» Juliet? Tot. Krebs. Letzten Mai vor sechs Jahren. « Dann wurde ihm anscheinend klar, dass er zu knapp gesprochen hatte. » Welty war Juliets großer Bruder. Halbbruder, besser gesagt. Derselbe Vater, andere Frauen. Dreißig Jahre auseinander. Aber er hat sie großgezogen wie sein eigenes Kind. «
Ich trat einen Schritt vor, um genauer hinzuschauen. Sie lehnte sich an ihn, und ihre Wange schmiegte sich liebevoll an seinen Ärmel.
Hobie räusperte sich. » Als sie geboren wurde, war der Vater der beiden über sechzig « , sagte er leise. » Viel zu alt, um sich für ein kleines Kind zu interessieren, zumal da er sowieso nicht viel übrig hatte für Kinder. «
Eine Tür am anderen Ende des Korridors war nur angelehnt; er stieß sie auf und spähte in die Dunkelheit. Ich stand auf Zehenspitzen hinter ihm und reckte den Hals, aber er trat beinahe sofort einen Schritt zurück und zog die Tür klickend ins Schloss.
» Ist sie das? « Obwohl ich in der Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte, war mir das unfreundliche Leuchten eines tierischen Augenpaars aufgefallen, ein verstörender grünlicher Schimmer am anderen Ende des Zimmers.
» Nicht jetzt. « Er sprach so leise, dass ich ihn kaum hören konnte.
» Was ist denn da bei ihr? « , flüsterte ich und blieb am Türrahmen stehen. Ich wollte noch nicht weitergehen. » Eine Katze? «
» Ein Hund. Die Schwester ist nicht einverstanden, aber sie will ihn bei sich im Bett haben, und ehrlich gesagt, ich schaffe es nicht, ihn hier draußen zu halten. Er kratzt an der Tür und winselt– hier entlang. «
Mit langsamen, knirschenden Bewegungen, vorgebeugt wie ein alter Mensch, stieß er die Tür in eine vollgestopfte Küche auf. Sie hatte ein Oberlicht, und es gab einen bauchigen alten Herd: tomatenrot und mit eleganten Konturen wie ein Raumschiff aus den fünfziger Jahren. Auf dem Boden stapelten sich Bücher– Kochbücher, Wörterbücher, alte Romane, Enzyklopädien–, und auf den Regalborden stand antikes Porzellan, dicht an dicht, ein halbes Dutzend Dekore. Neben dem Fenster, beim Ausgang zur Feuertreppe, hielt ein ausgeblichener Heiliger aus Holz segnend die Hand hoch, und auf der Anrichte, neben einem silbernen Teekannen-Set, marschierten bunt bemalte Tiere paarweise in eine Arche Noah. Im Spülbecken türmten sich die Teller, und auf Arbeitsplatten und Fensterbänken sah ich Medizinfläschchen, schmutzige Tassen, beunruhigende Verwehungen von ungeöffneter Post und Pflanzen aus der Blumenhandlung, braun und vertrocknet in ihren Töpfen.
Er ließ mich am Tisch Platz nehmen und schob Stromrechnungen und alte Ausgaben der Zeitschrift Antiques zur Seite. » Tee « , sagte er, als sei ihm ein Artikel auf der Einkaufsliste eingefallen.
Er machte sich am Herd zu schaffen, und ich starrte die Kaffeekringel auf der Tischdecke an. Ruhelos lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und sah mich um.
» Ähm… « , sagte ich.
» Ja? «
» Kann ich sie nachher sehen? «
» Vielleicht « , sagte er, ohne sich zu mir umzudrehen. Ein Schneebesen schlug gegen eine blaue Porzellanschüssel: tap tap tap. » Wenn sie wach ist. Sie hat starke Schmerzen, und die Medizin macht sie schläfrig. «
» Was ist ihr passiert? «
» Na ja… « Sein Ton war munter und gedämpft zugleich, und ich erkannte ihn sofort, denn es war praktisch der gleiche, den ich selbst benutzte, wenn jemand
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