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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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identifizieren konnte, und es schmeckte köstlich.
    » Verzeihung, was ist das? « , fragte ich und nahm behutsam noch einen Bissen.
    Er machte ein verlegenes Gesicht. » Na ja, es hat eigentlich keinen Namen. «
    » Nein, es schmeckt gut. « Ich war ein wenig erstaunt, wie hungrig ich tatsächlich war. Meine Mutter hatte manchmal einen ganz ähnlichen Käsetoast gemacht, sonntags abends im Winter.
    » Magst du Käse? Ich hätte fragen sollen. «
    Ich nickte stumm; ich hatte den Mund voll und konnte nicht antworten. Mrs. Barbour drängte mir zwar dauernd Eis und Süßigkeiten auf, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, als hätte ich seit dem Tod meiner Mutter so gut wie keine normale Mahlzeit mehr zu mir genommen, wenigstens nicht die Art von Mahlzeit, die für uns normal gewesen war– Pfannengemüse oder Rührei oder Maccaroni mit Käse aus der Schachtel. Ich hatte dann immer auf der Trittleiter in der Küche gesessen und ihr erzählt, wie der Tag gewesen war.
    Während ich aß, setzte er sich mir gegenüber an den Tisch und stützte das Kinn auf die großen weißen Hände. » Worin bist du gut? « , fragte er ziemlich unvermittelt. » Sport? «
    » Wie bitte? «
    » Wofür interessierst du dich? Spiele und so was? «
    » Na ja, für Videospiele. › Age of Conquest ‹ zum Beispiel, oder › Yakuza Freakout ‹ . «
    Er machte ein verständnisloses Gesicht. » Und wie ist es mit der Schule? Lieblingsfächer? «
    » Geschichte, glaube ich. Und Englisch « , fügte ich hinzu, als er nichts sagte. » Aber Englisch wird in den nächsten sechs Wochen recht langweilig werden. Wir haben mit Literatur aufgehört und wieder mit Grammatik angefangen, und jetzt machen wir Satzdiagramme. «
    » Literatur? Englische oder amerikanische? «
    » Amerikanische. Im Moment. Bis vor kurzem jedenfalls. Und amerikanische Geschichte, dieses Jahr. Aber das ist in letzter Zeit echt langweilig. Wir sind gerade mit der Weltwirtschaftskrise fertig. Aber es wird wieder gut, wenn wir mit dem Zweiten Weltkrieg anfangen. «
    Es war das unterhaltsamste Gespräch seit einer ganzen Weile. Er stellte mir alle möglichen interessanten Fragen, zum Beispiel, was ich in Literatur gelesen hatte und inwiefern die Mittelschule anders war als die Grundschule, welches mein schwerstes Fach war (Spanisch) und welches meine Lieblingsperiode in Geschichte (ich wusste es nicht genau– alles außer Eugene Debs und die Geschichte der Arbeiterbewegung, denn damit hatten wir viel zu viel Zeit verbracht)–, und was ich werden wollte, wenn ich groß wäre (keine Ahnung). Lauter normales Zeug, aber es war erfrischend, mich mit einem Erwachsenen zu unterhalten, der sich anscheinend nicht nur für mein Unglück interessierte, mir keine Informationen aus den Rippen leiern wollte und keine Strichliste von Dingen abarbeitete, die man einem beschädigten Kind sagen musste.
    Jetzt waren wir beim Thema Schriftsteller, und von T.H. White und Tolkien waren wir zu Edgar Allan Poe gekommen, einem meiner Lieblingsautoren. » Mein Dad meint, Poe wäre ein zweitklassiger Schriftsteller « , erzählte ich. » Er wäre der Vincent Price der amerikanischen Literatur. Aber ich finde, das ist nicht fair. «
    » Nein, ist es auch nicht « , sagte Hobie ernst und schenkte sich eine Tasse Tee ein. » Auch wenn man Poe nicht mag, so hat er immerhin die Detektivgeschichte erfunden. Und Science Fiction. Im Grunde einen großen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht mehr so begeistert von ihm, wie ich es als Junge war, aber selbst wenn man ihn nicht mag, kann man ihn nicht als Spinner abtun. «
    » Hat mein Dad aber getan. Er ist immer rumgelaufen und hat mit einer blöden Stimme › Annabel Lee ‹ aufgesagt, nur um mich zu ärgern. Weil er wusste, dass es mir gefällt. «
    » Dann ist dein Dad Schriftsteller? «
    » Nein. « Wie kam er denn darauf? » Schauspieler. War er jedenfalls. Bevor ich geboren wurde, hat er Gastrollen in mehreren Fernsehserien gespielt. Nie der Star, sondern immer der Freund des Stars, ein verwöhnter Playboy oder ein korrupter Geschäftspartner, der dann umgebracht wird. «
    » Könnte ich ihn kennen? «
    » Nein, jetzt hat er einen Bürojob. Oder besser gesagt: hatte. «
    » Was macht er denn jetzt? « Er hatte sich den Ring auf den kleinen Finger geschoben, und ab und zu drehte er ihn mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand, als wolle er sich vergewissern, dass er noch da war.
    » Was weiß ich? Er hat uns abserviert. «
    Zu meiner

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