Der Doktor und das liebe Vieh
steif, lief aber schon wieder recht gut. Bald würde es wieder ganz in Ordnung sein.
Die kleinen Mädchen blickten hinten aus der Tür heraus. Als sie mich entdeckten, winkte ich. Sie sahen ohne ein Lächeln zu mir herüber, doch dann, als der Wagen langsam um die Ecke fuhr, hob eine von ihnen schüchtern die Hand. Die anderen taten es ihr gleich, und ehe sie meinen Blicken entschwanden, winkten sie alle drei eifrig zurück.
Kapitel 35
»Ob Mr. Herriot sich wohl bitte meinen Hund ansehen könnte?«
Die Worte, die da aus dem Wartezimmer herausdrangen, hörte ich nur allzu oft, doch die Stimme ließ mich innehalten.
Nein, es konnte nicht sein. Ausgeschlossen. Und doch, die Stimme klang genau wie Helens Stimme. Ich schlich zurück und spähte durch die Türritze. Drinnen im Wartezimmer stand Tristan und sprach mit jemandem, der sich außerhalb meines Blickfelds befand. Ich sah nur eine Hand, die auf dem Kopf eines geduldigen Schäferhunds ruhte, und zwei Beine in Seidenstrümpfen.
Es waren hübsche Beine, und es konnten durchaus Helens Beine sein. Während ich noch darüber nachdachte, beugte sich ein Kopf zu dem Hund herab, und jetzt sah ich ein Profil wie in Großaufnahme vor mir: die gerade Nase und das dunkle Haar, das über die glatte weiche Wange fiel.
Völlig durcheinander spähte ich noch immer durch die Ritze, als Tristan aus dem Zimmer geschossen kam und mit mir zusammenprallte. Er unterdrückte einen Fluch, packte mich am Arm und zerrte mich den Flur entlang in das hintere Zimmer. Er schloß die Tür und flüsterte heiser:
»Sie ist es! Die Alderson! Und sie will Sie sehen! Nicht Siegfried, nicht mich, sondern Sie! Mr. Herriot persönlich!«
Er sah mich mit großen Augen an. Und dann, als ich zögerte, riß er die Tür auf und versuchte mich hinauszustoßen.
»Worauf warten Sie?« zischte er.
»Nun ja, es ist doch ein bißchen peinlich, oder etwa nicht? Nach dem Abend damals, meine ich. Ich muß einen hinreißenden Anblick geboten haben – stockbetrunken und unfähig zu reden.«
Tristan schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Herrgott! Lassen Sie doch diese Albernheiten. Sie will Sie sehen – was wollen Sie mehr? Los, gehen Sie!«
Unentschlossen ging ich ein paar Schritte durch den Flur.
»Moment«, zischelte Tristan. »Warten Sie hier!«
Er eilte davon und kam gleich darauf mit einem weißen Kittel wieder. »Gerade aus der Wäscherei zurück«, sagte er und machte sich daran, meine Arme in die gestärkten Ärmel zu zwängen. »Sie werden fabelhaft darin aussehen, Jim – der lautere junge Arzt.«
Ich leistete keinen Widerstand, als er mir den Kittel zuknöpfte. Doch als er meine Krawatte zurechtziehen wollte, schlug ich seine Hand weg. Er lachte und winkte mir aufmunternd zu.
Ich dachte nicht weiter nach, sondern marschierte schnurstracks ins Wartezimmer. Helen blickte auf und lächelte. Es war genau das gleiche Lächeln wie immer. Nichts verbarg sich dahinter. Es war das gleiche freundliche, stille Lächeln wie bei unserer ersten Begegnung.
Wir sahen einander schweigend an. Als ich nichts sagte, senkte sie den Kopf und deutete auf den Hund.
»Diesmal geht es um Dan«, sagte sie. »Er ist unser Schäferhund, aber wir hängen alle so sehr an ihm, daß er fast schon zur Familie gehört.«
Der Hund wedelte mit dem Schwanz, als er seinen Namen hörte, jaulte jedoch, als er auf mich zukam. Ich streichelte seinen Kopf. »Ich sehe schon, er hat etwas an dem einen Hinterbein.«
»Ja, er ist heute morgen über eine Mauer gesprungen, und seither zieht er das Bein an. Es muß etwas Schlimmes sein – er kann sich nicht darauf stützen.«
»Gut. Bringen Sie ihn hinüber. Ich werde ihn mir ansehen. Und gehen Sie bitte mit ihm vor mir her, damit ich sehe, wie er läuft.«
Ich hielt Helen die Tür auf, und sie ging mit dem Hund vor mir her.
Zuerst hingen meine Blicke nur an Helens Beinen, doch bis wir die zweite Biegung des langen Flurs erreicht hatten, war es mir gelungen, mich auf meinen Patienten zu konzentrieren.
Es war eine Hüftverrenkung. Es konnte gar nichts anderes sein. Man sah deutlich, wie er das eine Bein unter dem Körper hielt und mit der Pfote eben nur den Boden berührte.
Ich betrachtete den Schaden mit gemischten Gefühlen. Es war eine schwere Verletzung. Andererseits konnte ich die Sache mit etwas Glück schnell in Ordnung bringen und so eine gute Figur machen. Ich wußte aus Erfahrung, daß die Korrektur einer traumatischen Hüftgelenkluxation eines der
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