Der Doktor und das liebe Vieh
kampierten sie unten am Fluß und versuchten, ihre Pferde zu verkaufen. Wir waren schon einige Male zu ihnen gerufen worden. Viele von ihnen hießen oder nannten sich Smith, und nicht selten waren Patient und Besitzer, wenn ich am nächsten Tage wiederkam, über alle Berge. Deshalb hatte Siegfried mir, als ich am Morgen aus dem Haus ging, nachgerufen: »Lassen Sie sich, wenn möglich, gleich das Geld geben.« Er hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen – Mr. Myatt war eine grundehrliche Haut.
Ich stieg aus dem Wagen und folgte ihm durch das Gras. Wir kamen an einem schäbigen, rot angemalten Wohnwagen vorbei, wo mich ein Wachhund ankläffte, und gelangten zu einer Stelle, wo ein paar Pferde und Ponies angebunden waren. Mein Patient war leicht zu finden: ein hübscher Schecke, der sich jedoch in einem sehr traurigen Zustand befand. Während die anderen Tiere sich an ihren Stricken umherbewegten und uns neugierig beobachteten, stand das scheckige Pony wie aus Stein gemeißelt da.
Schon aus einiger Entfernung sah ich, was ihm fehlte. Es war eine akute Rehe, eine Entzündung der Huflederhaut – nur sie rief eine solche geduckte Haltung hervor –, und im Näherkommen sah ich, daß offenbar alle vier Hufe davon befallen waren, denn das Pony hatte die Hinterhufe direkt unter seinem Körper – in dem verzweifelten Versuch, sein Gewicht auf die Fersen zu verlagern.
Ich maß seine Temperatur. »Hat es irgendwelches Extrafutter bekommen, Mr. Myatt?«
»Ja, gestern abend einen Sack Hafer.« Der Mann zeigte mir den großen, halbleeren Sack hinten im Wohnwagen. Es war schwer, ihn zu verstehen, aber ich entnahm seinen Worten und Gesten, daß sich das Pony losgerissen und mit dem Hafer vollgefressen hatte. Er hatte ihm daraufhin eine Dosis Rizinusöl gegeben.
Das Thermometer zeigte 40 Grad, und der Puls ging schnell und unregelmäßig. Ich strich mit der Hand über die glatten, zitternden Hufe und fühlte die anomale Hitze. Dann betrachtete ich das angespannte Gesicht, die geweiteten Nüstern und die erschrockenen Augen. Wer einmal eine Nagelbettentzündung gehabt hat, kann sich eine ungefähre Vorstellung von den qualvollen Schmerzen eines an Rehe leidenden Pferdes machen.
»Können Sie es dazu bringen, daß es sich bewegt?« fragte ich.
Der Mann packte das Pony am Kummet, aber es wollte sich nicht vom Fleck rühren.
Ich packte an der anderen Seite zu. »Jetzt! Es ist immer besser, wenn sie sich bewegen.«
Wir zogen gemeinsam, und Mr. Myatt gab dem Pony einen Klaps. Es machte ein paar schwankende Schritte, aber so furchtsam, als sei der Boden glühendheiß. Und jedesmal, wenn es die Hufe aufsetzte, ächzte es. Nach wenigen Sekunden hatte es wieder die typische geduckte Haltung eingenommen.
»Nein, es will einfach nicht«, sagte ich, drehte mich um und ging zum Wagen. Ich mußte tun, was ich konnte, um dem Pony Erleichterung zu verschaffen. Zunächst kam es darauf an, soviel wie möglich von dem Hafer herauszuholen. Ich nahm die Flasche mit Arecolin und gab dem Pony eine Injektion in den Nackenmuskel. Dann zeigte ich dem Zigeuner, wie er Tücher um die Hufe schlingen konnte, die er ständig mit kaltem Wasser tränken sollte.
Dann trat ich zurück und warf noch einen Blick auf das Pony. Das Arecolin hatte die Speichelabsonderung angeregt, und das Pony hatte seinen Darm entleert, aber die Schmerzen hatten nicht nachgelassen und würden auch nicht nachlassen, bis die schreckliche Entzündung abklang – falls sie jemals abklang. Ich hatte Fälle erlebt, in denen die Lymphe aus der Hufkrone gesickert war. Das führte meistens dazu, daß die Hufe sich ablösten, und manchmal sogar zum Tod.
Während mir diese finsteren Gedanken durch den Kopf gingen, kamen die drei kleinen Mädchen. Sie streichelten das Pony, und die größte schlang die Arme um seinen Hals. Obwohl sie nicht weinten, sah man ihnen an, wieviel das Pony ihnen bedeutete.
Ich ließ dem Mann noch eine Flasche Akonittinktur da. »Geben Sie ihm davon alle vier Stunden eine Dosis, Mr. Myatt, und sorgen Sie dafür, daß die Umschläge immer kalt und feucht sind. Ich komme morgen früh wieder vorbei.«
Ich schloß die Wagentür und blickte durch das Fenster noch einmal auf den langsam aufsteigenden Rauch, die treibenden Schneeflocken und auf die drei Mädchen, die noch immer das Pony streichelten.
»Fein, daß Sie das Geld gleich bekommen haben, James«, sagte Siegfried beim Mittagessen und stopfte die Zehnshillingnote in seine volle Tasche. »Was hat das
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