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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Pony denn?«
    »Rehe, Hufverschlag – ein schlimmer Fall, wie ich ihn noch nie erlebt hab. Ich hab das arme Tier kaum von der Stelle bewegen können. Es leidet Höllenqualen. Ich hab das Übliche getan, aber sicher ist es nicht genug.«
    »Keine sehr schöne Prognose.«
    »Nein, ziemlich düster. Selbst wenn es das akute Stadium übersteht, wird es vermutlich deformierte Hufe behalten. Und dabei ist es so ein reizendes kleines Tier. Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
    Siegfried sägte zwei dicke Scheiben von dem kalten Hammelbraten ab und packte sie mir auf den Teller. Dann sah er mich nachdenklich an. »Sie sind ein bißchen durcheinander, seit Sie zurück sind. Scheußlich, solche Fälle, ich weiß, aber es hat keinen Zweck, sich das Hirn zu zermartern.«
    »Ach, ich muß einfach immerfort daran denken. Vielleicht hängt es auch mit den Leuten zusammen. Diese Myatts waren etwas völlig Neues für mich. Wie aus einer anderen Welt. Und drei kleine Mädchen, die furchtbar an dem Pony hängen.«
    Während Siegfried sein Hammelfleisch kaute, sah ich, wie der alte Glanz in seine Augen trat – wie immer, wenn das Gespräch auf Pferde kam. Ich wußte, von sich aus würde er nichts sagen. Er wartete darauf, daß ich den ersten Schritt tat.
    »Ich wünschte, Sie kämen mit und sähen sich das Pony einmal an. Vielleicht fällt Ihnen irgend etwas ein. Meinen Sie nicht, daß es vielleicht noch irgendein Mittel gibt?«
    Siegfried legte Messer und Gabel auf den Teller und starrte ein paar Sekunden vor sich hin. Dann sah er mich an. »Wissen Sie, James, vielleicht gibt es tatsächlich etwas. Ganz offenbar ist dies ein besonders gemeiner Fall, bei dem die gewöhnlichen Mittel versagen. Ich hab eine Idee. Man kann nur eins tun.« Er lächelte verschmitzt. »Aber sicher wird es Ihnen nicht recht sein.«
    »Oh, nehmen Sie auf mich keine Rücksicht«, sagte ich. »Sie sind der Pferdespezialist. Wenn Sie dem Pony helfen können, ist mir alles recht.«
    »Gut, dann essen Sie auf. Wir werden gemeinsam etwas unternehmen.«
    Nach dem Essen führte er mich ins Instrumentenzimmer. Ich war überrascht, als er den Schrank öffnete, in dem Mr. Grants Instrumente aufbewahrt wurden – ein wahres Museum.
    Als Siegfried die Praxis von dem alten Tierarzt erwarb, hatte er auch dessen Instrumente mit übernommen, und seither lagen sie da, sauber und geordnet, doch unbenutzt. Es wäre vernünftig gewesen, sie wegzuwerfen, aber vielleicht empfand Siegfried ihnen gegenüber das gleiche wie ich. Die polierten Holzkästen mit den funkelnden altmodischen Skalpellen, die Klistierspritzen, die Nadeln, die alten Brenneisen – sie waren so etwas wie das Testament sechzigjähriger Mühsal. Oft stand ich davor und malte mir aus, wie der alte Mann sich mit den gleichen Problemen herumgeschlagen hatte, die mich quälten, und wie er dieselben schmalen Straßen entlanggefahren war, die mich jetzt zu meinen Patienten führten. Er war stets allein gewesen – sechzig Jahre lang. Ich stand erst am Anfang, aber ich wußte schon ein wenig von den Triumphen und Katastrophen, von den Sorgen, den Hoffnungen und Enttäuschungen – und von der harten Arbeit.
    Siegfried griff in den Schrank und holte ein flaches Etui heraus. Er blies den Staub von dem Lederdeckel und öffnete vorsichtig den Haken. Auf dem abgenutzten Samtpolster lag eine funkelnde Fliete, und daneben ein runder polierter Stab.
    Ich sah Siegfried erstaunt an. »Sie wollen das Pony zur Ader lassen?«
    »Ja, mein Junge, ich führe Sie zurück ins Mittelalter.«
    Er sah mein überraschtes Gesicht und legte die eine Hand auf meinen Arm. »Und nun kommen Sie mir nicht mit all den wissenschaftlichen Argumenten gegen den Aderlaß. Ich könnte selbst keine starken Argumente dafür vorbringen.«
    »Aber haben Sie es schon je getan? Ich habe Sie noch nie diese Geräte benutzen sehen.«
    »Doch, ich hab’s schon manchmal getan. Und ich hab hinterher die komischsten Sachen erlebt.« Er wandte sich ab, als wünschte er keine weitere Diskussion. Er säuberte die Fliete gründlich und legte sie in den Sterilisator. Mit unbewegtem Gesicht stand er da und horchte auf das Zischen des kochenden Wassers.
     
    Die Zigeuner hockten wieder am Feuer, und als Mr. Myatt sah, daß Verstärkung eingetroffen war, kam er sogleich angeschlurft. Wieder hielt er eine Zehnshillingnote in der Hand.
    Siegfried winkte ab. »Wir wollen sehen, was wir tun können, Mr. Myatt«, brummte er und ging durch das Gras zu dem vor Schmerzen

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