Der Doktor und das liebe Vieh
Bodenbrettern hochspritzte.
Aber es war ein schöner Sommer, und lange Tage im Freien bräunten mich so sehr, daß meine Hautfarbe es mit der unserer Bauern aufnehmen konnte. Auf den hochliegenden, nicht eingezäunten Straßen mit den kreisenden Brachvögeln und dem Wind, der den Duft von Blumen und Bäumen aus den Tälern herauftrug, empfand ich es nicht einmal als Strafe, einen Reifen flicken zu müssen. Und ich fand auch noch weitere Vorwände, damit ich aussteigen, mich in das frische Gras setzen und über die luftigen Höhen von Yorkshire blicken konnte. Ich hatte Zeit, Abstand von den Dingen zu gewinnen und meine Fortschritte abzuschätzen. Alles war so anders, daß es mich verwirrte: diese Landschaft nach Jahren des Großstadtlebens, das Gefühl, vom Zwang des Studiums und der Prüfungen befreit zu sein, die Arbeit mit ihrer täglichen Herausforderung. Und dann mein Chef.
Siegfried Farnon sauste vom Morgengrauen bis in die Dunkelheit mit wilder Energie umher, und oft fragte ich mich, was ihn trieb. Geld war es nicht, denn daran lag ihm nicht viel. Wenn die Rechnungen bezahlt wurden, wanderte das Bargeld in den Krug auf dem Kaminsims, und bei Bedarf schnappte er sich ganze Hände voll Silbergeld und zusammengeknüllter Banknoten.
Nach ein oder zwei Wochen stürmischer Hast pflegte er zu verschwinden, manchmal für den Abend, manchmal die ganze Nacht, und oft ohne zu sagen, wohin er ging. Mrs. Hall kochte stets für zwei Personen, und wenn sie sah, daß ich allein aß, räumte sie die Reste kommentarlos ab.
Jeden Morgen überflog er die Liste der Anrufe so flüchtig, daß ich oft zum falschen Hof geschickt wurde oder einen falschen Auftrag bekam. Erzählte ich ihm später von so einer unangenehmen Situation, dann lachte er herzhaft.
Einmal geriet er selbst in eine peinliche Lage. Ich hatte gerade einen Anruf von einem Mr. Heaton aus Bronsett entgegengenommen, der die Autopsie eines verendeten Schafs wünschte.
»Ich möchte, daß Sie mitkommen, James«, sagte Siegfried. »Heute liegt ohnehin nichts Besonderes vor, und ich glaube, auf dem College lernt ihr Burschen ein recht zügiges Autopsieverfahren. Ich will mir das mal ansehen.«
Als wir das Dorf Bronsett erreichten, steuerte Siegfried den Wagen in einen Weg zur Linken. »Wohin wollen Sie denn?« rief ich. »Heaton wohnt am anderen Ende des Dorfes.«
»Aber Sie sagten Seaton.«
»Ich versichere Ihnen...«
»James, ich stand direkt neben Ihnen, als Sie mit dem Mann sprachen. Ich hörte genau, wie Sie Seaton sagten.«
Ich öffnete den Mund, um weiterzuargumentieren, aber der Wagen sauste den Weg hinunter, und Siegfried preßte die Kinnbacken verbissen zusammen. Ich beschloß, es ihn selbst herausfinden zu lassen.
Wir hielten mit kreischenden Bremsen vor dem Bauernhaus an. Der Wagen hatte noch nicht aufgehört zu zittern, da war Siegfried schon draußen und wühlte im Kofferraum herum. »Zum Teufel«, brüllte er, »jetzt habe ich kein Seziermesser. Na, dann leihe ich mir eben irgend etwas im Haus.« Er knallte den Deckel herunter und eilte zur Tür.
Die Bauersfrau öffnete, und Siegfried sah sie mit strahlendem Lächeln an. »Guten Morgen, Mrs. Seaton, haben Sie ein Vorlegemesser?«
Die gute Frau zog die Augenbrauen hoch. »Ein was...?«
»Ein Messer zum Bratenschneiden, Mrs. Seaton, und zwar ein recht scharfes, bitte.«
»Zum Tranchieren meinen Sie?«
»Ja, genau, ein Tranchiermesser!« schrie Siegfried, dessen geringer Vorrat an Geduld erschöpft war. »Und vielleicht beeilen Sie sich ein bißchen, ich habe nicht viel Zeit.«
Die verwirrte Frau zog sich in die Küche zurück, und ich hörte aufgeregtes Geflüster und Gemurmel. Ab und zu kamen Kinderköpfe zum Vorschein, um einen raschen Blick auf Siegfried zu werfen, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Nach einiger Zeit erschien eine der Töchter und streckte ihm mit ängstlicher Miene ein langes, gefährlich aussehendes Messer entgegen.
Siegfried riß es ihr aus der Hand und strich mit dem Daumen über die Schneide. »Das taugt überhaupt nichts!« brüllte er wütend. »Begreift ihr denn nicht, ich brauche etwas wirklich Scharfes. Hol mir einen Wetzstahl.«
Das Mädchen eilte in die Küche zurück, und nun erhob sich ein leises Stimmengewirr. Ein paar Minuten vergingen, dann wurde ein anderes Mädchen aus der Tür geschoben. Sie näherte sich Siegfried bis auf Armeslänge, gab ihm den Stahl und brachte sich eilig in Sicherheit. Siegfried war sehr stolz auf sein Geschick,
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