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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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verlegen. Wie sehr mußte ich den armen Burschen stören, der hier draußen seinen trüben Gedanken nachhing. »Tut mir leid, daß die Sache so ausgelaufen ist«, sagte ich unbeholfen.
    Die Zigarette glühte auf, als Tristan einen tiefen Zug machte. »Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Hätte sehr viel schlimmer kommen können, wissen Sie.«
    »Schlimmer? Na, es ist doch wohl schlimm genug. Was werden Sie jetzt tun?«
    »Tun? Wie meinen Sie das?«
    »Na ja, er hat Sie immerhin rausgeschmissen, stimmt’s? Wo werden Sie heute nacht schlafen?«
    Tristan nahm seine Zigarette aus dem Mund, und als er lächelte, schimmerten seine weißen Zähne. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich schlafe hier, und morgen komme ich zum Frühstück herunter.«
    »Aber Ihr Bruder?«
    »Siegfried? Ach, bis dahin hat er alles vergessen.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Absolut sicher. Er schmeißt mich jedesmal raus, und dann vergißt er’s. Die Sache ist übrigens tadellos gelaufen. Das einzige Problem war eigentlich, ihm die Sache mit der Parasitenkunde mundgerecht zu machen.«
    Ich starrte auf die verschwommene Gestalt neben mir. Wieder gab es ein Geraschel, als sich die Krähen in den hohen Bäumen bewegten.
    »Parasitenkunde?«
    »Ja. Erinnern Sie sich – ich habe lediglich gesagt, ich hätte mich tapfer geschlagen. Einzelheiten habe ich nicht erwähnt.«
    »Soll das heißen...?«
    Tristan lachte leise und klopfte mir auf die Schulter. »Genau. Ich bin auch in Parasitenkunde durchgefallen. Aber keine Sorge, Weihnachten bestehe ich in beiden Fächern.«

Kapitel 6
     
    Ich kuschelte mich tiefer in die Kissen, als die Telefonglocke durch das alte Haus schrillte. Es war drei Wochen nach Tristans Ankunft, und das Leben in Skeldale House verlief in ziemlich gleichförmigem Rhythmus. Jeder Tag begann unweigerlich mit dem Klingeln des Telefons zwischen sieben und acht Uhr, nachdem die Bauern einen ersten Blick auf ihr Vieh geworfen hatten.
    Es gab nur einen Telefonapparat im Haus. Er stand auf einem Sims in dem mit Fliesen ausgelegten Flur. Siegfried hatte mir eingeschärft, ich solle wegen der frühen Anrufe nicht aufstehen; er habe Tristan mit dieser Aufgabe betraut, um sein Verantwortungsgefühl zu fördern.
    Das Klingeln wollte nicht verstummen; es schien immer lauter zu werden. In Tristans Zimmer rührte sich nichts, und ich wartete auf die nächste Szene des täglichen Dramas, die stets damit begann, daß eine Tür krachend aufgerissen wurde. Dann kam Siegfried aus seinem Zimmer gestürmt und raste die Treppe hinunter.
    Es folgte eine lange Stille, und ich sah in Gedanken, wie Siegfried in dem zugigen Flur barfuß auf den eiskalten Fliesen stand, während er dem gemächlichen Bericht eines Bauern lauschte. Dann das Klirren des auf die Gabel geworfenen Hörers und die stampfenden Schritte auf der Treppe, wenn Siegfried zu seinem Bruder hinaufeilte.
    Als nächstes flog Tristans Tür auf; dann ertönte ein wütender Schrei. Mischte sich leiser Triumph in den Zorn, dann war Tristan im Bett ertappt worden – ein eindeutiger Sieg für den älteren Bruder, und er hatte nicht viele Siege zu verzeichnen. Meistens zog Tristan sich blitzschnell an und trat Siegfried fertig angekleidet gegenüber. Es verschaffte ihm einen psychologischen Vorteil, wenn er seine Krawatte band, während der Bruder noch im Pyjama war.
    Aber an diesem Morgen hatte sich Tristan zu sehr auf sein Glück verlassen: Bei dem Versuch, ein paar Extrasekunden zu gewinnen, war er im Bett erwischt worden. »Warum bist du nicht an das verdammte Telefon gegangen, wie ich’s dir aufgetragen habe? Erzähl mir nicht, du wärst ebenso taub wie faul. Los, los, raus aus dem Bett!«
    Später beobachtete ich Siegfrieds Miene, als er das Eßzimmer betrat, wo Tristan bereits fröhlich seinen Toast kaute und den gegen die Kaffeekanne gelehnten Daily Mirror las. Mein Chef verzog das Gesicht, als hätte er plötzlich Zahnschmerzen bekommen.
    Das alles schuf eine gespannte Atmosphäre, und ich war erleichtert, als ich vom Kaffeetisch aufstehen konnte, um meine Sachen für die morgendliche Runde zu holen. Durch den schmalen Korridor mit seinem vertrauten, erregenden Geruch nach Äther und Karbol ging ich hinaus in den von hohen Mauern umgebenen Garten, der zu dem Hof führte, wo die Autos standen.
    Ich beeilte mich niemals auf diesem Weg. Auch wenn ein dringender Fall auf mich wartete, ich ließ mir Zeit. Zuerst ging es einen schmalen Pfad entlang, zwischen der efeubedeckten Mauer und

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